JORMA SILVASTI: FINNISCHE ANSICHTEN - Teil 2
Eine der letzte dieser Herausforderungen sei der Siegmund in London gewesen. "Im Nachhinein gesehen, war das eigentlich ganz verrückt. Kurz davor sang ich den Boris in ‚Katja Kabanova', was unheimlich hoch ist, und Siegmund ist in meiner Tessitura sehr, sehr tief... es war schon eine harte Sache." Rückschauend allerdings hätte dies, "so unglaublich es klingen mag", soviel Gutes für seinen Tamino gebracht. "Es war eine sehr gute Schule und hat mich als Sänger sehr weitergebracht."

Pedro in "Tiefland" nennt der finnische Tenor als Wunschpartie. Was ist der Grund dafür, schließlich scheint "Tiefland" unter Sängern gerade eine große Popularität zu haben? "In meinem allerersten Jahr in Krefeld, da habe ich das Stück zum ersten Mal gehört. Ich habe nicht selbst mitgesungen, aber es war einfach fantastisch, Diese Musik..." schwärmt er und erklärt dann, es sei ja eine Art deutschsprachige "Tosca".

Außerdem steht Stolzing ganz oben auf der Liste der Partien, die er - nach einer Serie in Toulouse - gern wieder machen würde. "Das hat riesigen Spaß gemacht."

Er habe immer überlegt, was man zuerst singen solle - Lohengrin oder Stolzing. Einen Vertrag für Lohengrin, den er bereits hatte, hat er ganz instinktiv wieder zurückgegeben, weil er gefühlt habe, "nein, ich bin noch nicht fertig dafür". "Dann kam plötzlich diese Möglichkeit, in Toulouse den Stolzing zu singen, und alle Leute haben gesagt: ‚Jorma, das ist die falsche Reihenfolge.' Aber nach dieser Erfahrung bin ich überzeugt, daß es für mich die richtige Reihenfolge war, zuerst den Stolzing zu singen und dann den Lohengrin."

Was gefällt ihm am Stolzing so sehr? "Daß es so nah am Tamino liegt," meint er, lacht und ergänzt, "Es ist absolut eine Folgepartie vom Tamino." Aber natürlich läßt er dies nicht ohne weitere Erläuterung im Raum stehen. Der Grund, weshalb er diese Mozartpartie immer noch singe, sei einfach. "Solange ich den Tamino singen kann, solange funktioniert meine Stimme. Diesen Satz und dieses Benehmen habe ich von einem älteren deutschen Kollegen gelernt - Hermann Winkler. Er hat in Frankfurt Tamino gesungen. Wunderbar! Dann hat er uns Jungen gesagt, er macht das deswegen, weil es eine Prüfpartie für ihn ist, um zu wissen, ob seine Stimme noch funktioniert."

Er selbst sei auch davon überzeugt, daß es eine Basis dafür sei, wenn man eine lange und kontinuierliche Karriere machen will. "Wenn man als Mozarttenor anfängt, kommt irgendwann, wenn alles optimal läuft, dieses mittelschwere deutsche Fach automatisch."

Natürlich müsse man sich Zeit lassen. "Wir sind ja alle verschieden. Ich habe fünfzehn, zwanzig Jahre gebraucht, um diese Sachen anzugehen. Die Leute vergessen, daß das Geschäft heute so schnell geworden ist." Wenn man eine Wagnerpartie singe, erwarte dieses Geschäft rasch die nächste. "Ich wollte es immer so halten, daß ich, wenn ich eine Wagnerpartie gesungen hatte, danach diese Partie ein bis zwei Jahre nicht gesungen habe, und dann ich bin wieder darauf zurückgekommen. Es muß ein vorsichtiges Herantasten sein. Andererseits bin ich davon überzeugt, daß man seine Grenzen die ganze Zeit dehnen muß. Man kann nicht sein ganzes Sängerleben nur Mozart singen. Davon halte ich nicht sehr viel."

Und so wird er es auch in Zukunft halten. Im Herbst singt er Lenski in Helsinki ("Darauf freue ich mich riesig."), und im nächsten Jahr wird er in Wien an der neuen "Boris Godunow"-Produktion als Schuiskij beteiligt sein. "Früher habe ich immer mit dem Gedanken gespielt, ich möchte so gern Dimitri singen, aber wenn man das Libretto und die Partitur sieht, denke ich, daß Schuiskij interessanter ist."

Wichtig ist ihm auch "einen Teil des Glücks, das ich in meinem Beruf haben durfte", an nachfolgende Sängergenerationen weiterzugeben. Junge Sänger hätten heutzutage nicht mehr die Zeit, sich in Ruhe zu entwickeln. Er habe daher einige Studenten, übernehme allerdings eher eine Ratgeberposition. Außerdem wird er im Jahr 2009 den Vorsitz der Jury des Internationalen Mirjam Helin-Gesangswettbewerbs in Helsinki übernehmen.

"Was mich an Oper reizt, ist das Theater," sagt Jorma Silvasti irgendwann während unseres Gespräch. Diese Sichtweise ist sicherlich wichtige Grundlage für die Leistungen auf der Bühne, die das Publikum so begeistern. AHS