NACHRUF

Carlos KLEIBER, der Verweigerer; der Schwierige, der Exzentriker ist tot, am 13. Juli 2004 verstorben. Wie auch die letzten Jahre seines Lebens schon geheimnisumwittert waren, so ist auch sein Tod bis nach der stillen Beerdigung in Slowenien geheim gehalten worden.

So kam es, daß erst am 19. Juli die ersten Gerüchte über das Ableben auftauchen, bald folgten aber doch die offiziellen Bestätigungen. Die Musikwelt war erschüttert. Zu wenig hatte man in den letzten Jahren von und über Carlos Kleiber erfahren, um auf diesen Schlag vorbereitet zu sein.

Wieso galt Carlos Kleiber als schwierig? Weil er nach Perfektion suchte, weil er kein Medienmensch war, weil er keine künstlerischen Kompromisse schloß? Weil er sich nicht einengen ließ? Dies alles und noch mehr begründeten diesen Ruf. Aber es spräche sicher niemand über den „schwierigen“ Carlos Kleiber, hätte er nicht zuvor Interpretationsgeschichte geschrieben, und dies mit einem winzigen Repertoire und eigentlich mit spärlichen Auftritten.

Carlos Kleiber wurde 1930 in Berlin als Sohn des ebenfalls als schwierig bekannten österreichischen Dirigenten Erich Kleiber geboren. Die Familie wanderte wegen der in Deutschland herrschenden politischen Situation nach Argentinien aus und erlangte die argentinische Staatsbürgerschaft. 1950 begann Carlos, in Buenos Aires Musik zu studieren, doch die Familie zog wieder nach Europa, und der Vater Kleiber meinte, daß für seinen Sohn ein Chemiestudium in Zürich angebracht wäre. Lange währte dies aber nicht, dann gewann Musik versus Chemie, und 1952 debütierte der blutjunge Carlos Kleiber in La Plata, 1953 folgte ein erste Auftritt in München.

1954 war er kurzzeitig Kapellmeister in Potsdam, ging dann auch feste Engagements in Zürich und Düsseldorf ein, allerdings zog er es bald vor, ohne feste Bindungen im Opernbetrieb zu arbeiten und eroberte dann die wahrlich großen Häuser von Wien, über Bayreuth, Scala, Met. Die musikalischen Ereignisse bildeten sein wahrlich legendärer „Rosenkavalier“ an der Wiener Staatsoper, mit dem er sogar 1994 nach auf Tournee nach Japan ging und einen sagenhaften Erfolg verbuchen konnte. Auch seine „Traviata“ mit Placido Domingo und Ileana Cotrubas, seine „Fledermaus“ oder sein „Freischütz“ bringen ganze Generationen ins Schwärmen.

Auch an seine beiden Dirigate des Neujahrskonzertes der Wiener Philharmoniker kann man nur mit Wehmut zurück denken. Es gab viele gute Dirigenten, es gab aber nur ganz wenige (meiner Meinung nach drei), die dem Walzer, der Polka, der Musik der Strauß-Dynastie eine leichte, schwingende Klangfarbe zu geben vermochten. Carlos Kleiber stand hier in vorderster Reihe.

Carlos Kleiber war ein sensibler Musiker, und diese haben immer irgend etwas Schwieriges an sich, sonst entsteht nichts Außergewöhnliches, nichts Großes,. Sensibilität verstärkt sich mit zunehmendem Alter, und so ist vielleicht zu erklären, daß sich Carlos Kleiber immer mehr zurückzog, die Aufdringlichkeiten unserer Zeit nicht mehr vertrug, selbst Freunde vor den Kopf stieß.

Dennoch seine Anhängerschar sowie die Opern- und Konzertdirektoren gaben die Hoffnung nicht auf, Carlos Kleiber wieder an das Dirigentenpult zu bringen. Erst jetzt muß man sich damit abfinden, daß es kein Wiedersehen, Wiederhören geben kann. Die Anekdoten und Geschichten, die sich um Carlos Kleiber ranken, bilden ein besonderes Kapitel in seinem Leben, seiner Biographie und gehen von Äußerungen wie: „Er dirigiert erst wieder, wenn seine Tiefkühltruhe leer ist“ oder „Wann braucht er wieder einen neuen Audi?“

Zuletzt war Carlos Kleiber für den heurigen „Rosenkavalier“ in Salzburg im Gespräch. Ob sein anfängliches Interesse (er gab Besetzungsempfehlungen ab) aus musikalischen Überlegungen, aber wegen des Trubels in Salzburg wieder schwand, ob das Ableben seiner geliebten Frau im Dezember in einen Zusammenhang steht oder zuletzt sein eigener gesundheitlicher Zustand? Man spricht zwar von langer Krankheit, aber ob es nicht ein gebrochenes Herz war, wird man nie erfahren.

Carlos Kleiber hat nur wenige Tondokument autorisiert hinterlassen, vermutlich (und hoffentlich) werden nun, in memoriam, jene vielen Aufnahmen erscheinen, die seinen persönlichen strengen Anforderungen nicht gerecht wurden, die aber dem normalen Zuhörer noch immer Schauer des Entzückens entlocken.

Vermutlich wäre Carlos Kleiber mit all dem, was nun geschrieben wurde und wird, nicht einverstanden. Vielleicht würde er sogar toben, wie er das schon bei anderen Gelegenheiten getan hatte, aber eine Ansage müßte er wohl akzeptieren. Carlos Kleiber war eine überragende Dirigentenpersönlichkeit des 20. Jahrhundert, und die Musikwelt wird ihm ein dankbares Andenken widmen. EH