Wem bislang noch Musik für die Silvesterparty fehlt, dem sei zur Abwechslung etwas aus dem klassischen Bereich empfohlen: "Dramatische Arien", erschienen 1999 auf dem kleinen, aber eigentlich feinen, ansonsten auf historische Aufnahmen spezialisierten Label GEBHARDT. Solist ist Peter ANDERS jr., Sohn des direkt nach dem Kriege wohl beliebtesten deutschen Tenors und seiner als Gesangspädagogin am Salzburger Mozarteum tätigen Frau Susanne sowie Enkel der zu ihrer Zeit sehr berühmten Gesangslehrerin Lula Mysz-Gmeiner.

"Ein wichtiger Aspekt der künstlerischen Arbeit von Peter Anders jr. ist die Auseinandersetzung mit diesem Erbe und eine Orientierung an diesem Qualitätsanspruch", kann man im Beiheft dazu lesen, und "Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen". Irgend etwas hat Anders da falsch gemacht, auch wenn man das Ergebnis mit einiger Berechtigung als auf seine Weise einzigartig bezeichnen kann.

Max, Florestan, Lohengrin, José, Manrico, Radames, Chenier, Kalaf und sogar Othello; der Endfünfziger schreckt vor nichts zurück. Material wäre ja vielleicht ausreichend vorhanden (die Aufnahmetechnik läßt hier kein Urteil zu), aber ansonsten fehlt es an allem. Stilistische Unterschiede scheinen Anders fremd zu sein, und Ausdruck wird durch möglichst lautes, dramatisch (daher wohl der Titel) überzogenes Herauspressen der Töne ersetzt. Sonstige Kleinigkeiten wie Stimmsitz, Atemtechnik, Intonation, Phrasierung, Registerausgleich oder die Beherrschung von Sprachen können unter diesen Umständen getrost vernachlässigt werden. Als Beispiele seien die konsequent das Legato ersetzenden Vierteltonportamenti im "Celeste Aida", die dem Französischen entfernt ähnliche Aussprache in "Carmen" und Meyerbeers "Afrikanerin" (mit eingelegtem hohen des), das wundervolle, mit letztem Einsatz erreichte "vom Gahaal" als Lohengrin, der über eine kleine Sexte hinuntergeschmierte "Liäbäsblick" sowie die "Kewalen" und der je nach Tonhöhe den Sänger "folternde" oder "falternde" Spott im "Freischütz" genannt. Vokalfarben sind ohnehin Glücksache, dafür werden Konsonanten gerollt und gespuckt, daß es eine wahre Freude ist - oder sie werden einfach weggelassen. Anders bietet die Parodie eines deutschen Kammersängers der vorletzten Jahrhundertwende in Vollendung - ich fürchte nur, er nimmt sich ernst.

Das UNGARISCHE STAATSORCHESTER unter Herb E. NORMAN (wer auch immer das ist) spielt immerhin lauter richtige Töne. Da aber selbst die größten Ungenauigkeiten des Sängers ignoriert werden, und der Sound zwischen Stimme und Begleitung extrem unterschiedlich ist, drängt sich leider der Verdacht auf, daß einfach zu einer "Music minus one"-CD eingespielt wurde. Hartmut Kühnel