"Eine Florentinische Tragödie"/"Der Zwerg" - 29. November 2002

Daß dieser Kaufmann nicht sehr erfolgreich ist, sieht man gleich. Sein Warenlager ist bis unter die Decke mit Kartons gefüllt. Ein regelrechtes Bergmassiv tut sich da auf. Und als der Herr dann den Raum betritt, ahnt man auch warum. Simone ist schwarz gekleidet, mit schwarzen eng zurückliegenden Haaren und einer wuchtigen schwarzen Brille. Dem würde man nur ungern feine Stoffe abkaufen. Ein stimmiges Bild also, das Andreas HOMOKI in seiner Inszenierung von Alexander von Zemlinskys Einakter "Eine Florentinische Tragödie" entwirft (Bühne und Kostüme: Wolfgang GUSSMANN).

Und auch wenn man vorher schon Simones Frau Bianca turtelnd mit dem Prinzen von Florenz beobachten konnte, so beginnt die Oper doch erst wirklich mit Simones Auftritt. John WEGNER ist erst leise, fast kriechend, wie er dem Prinzen Gastfreundschaft und Stoffe anbietet, wird aber mit jeder Minute präsenter und beherrscht die Bühne und das Stück, als wäre es ein Ein-Personendrama. Beeindruckend, wie sich hier jemand in eine kalte Wut singt und spielt. Und dabei muß er noch diverse Male die Kartonwand erklimmen (ja, Herr Homoki läßt wieder turnen), wo er am Ende auch den Liebhaber seiner Frau ermordet. Die Tat bringt allerdings nicht die Erlösung, indem sich nach dem Mord das Ehepaar wieder annähert. Zwar wird in gegenseitiger Bewunderung geendet, aber bei Homoki stehen Mann und Frau weit voneinander entfernt und sehen sich nicht an. Da ist nur Kälte und Einsamkeit.

Ann HALLENBERG gibt die Bianca still freundlich mit leisen Gefühlsausbrüchen, aber immer mit einer Portion Misstrauen in den weiteren Verlauf der Geschehnisse. Der Prinz Andreas Conrad konnte an diesem Abend nicht singen, für ihn spielte der Abendspielleiter Heinz RUNGE und aus der Loge sang Viktor LUTSIUK. Beide machten ihre Sache gut. Ein starker erster Teil des Abends.

Im zweiten Teil ist der Stimmungsumschwung keine Entwicklung, sondern sehr abrupt. Zu Zemlinskys leichter spielerischer Musik, sieht man die Diener überdimensionales Spielzeug für den Geburtstag der Infantin aufbauen. Angesichts dieses Spielzeugs sind alle Zwerge. Das Buch ist von über zwei Metern Höhe, und auch die Buntstifte sind mannshoch. Brummkreisel und Schaukelpferd übertreffen beides noch, ein wahres Spielzeugparadies ist zu erleben.

Und die liebevollen Details machen auch vor den Menschen nicht halt. So haben alle viktorianischen Zofen allerliebste Himmelfahrtsnäschen, während der Haushofmeister (gut: Klemens SLOWIOCZEK) einen rechten Zinken verpaßt bekommen hat. Die Infantin selbst, die mit ihren Gespielinnen, wie eine Truppe von Shirley Temples aussieht runden das Idyll ab. Das ist Genuß bis zu dem Augenblick, wo sich die Schachtel öffnet, und der bereits vielfach beschworene Zwerg erscheint. Ab jetzt nimmt das Schicksal seinen Lauf, das macht schon Zemlinskys plötzlich rauhe und borstige Musik deutlich. Der häßliche Zwerg, der sich selbst für wunderschön hält, da er noch nie in einen Spiegel geblickt hat, verliebt sich in die Prinzessin und glaubt sich wiedergeliebt, als sie mit ihm tanzt und ihm eine Blume schenkt. Nur mit der Zeit wird es der Infantin (Maria BENGTSSON) zuviel, und sie fordert ihre Lieblingszofe Ghita auf, dem Zwerg einen Spiegel zu zeigen.

Es folgt die wohl beeindruckendste Szene, in der Ghita mit sich ringt, ob sie tun soll, wie ihr befohlen. Anne BOLSTAD gestaltet die Zerissenheit wundervoll aus, während der Zwerg nichts ahnend daneben steht. Jürgen MÜLLER bringt das naive Vertrauen des Zwerges in seine eigene Person sehr glaubhaft rüber. Auch der Schock, als er in den Spiegel sieht, sowie der stille leidende Tod des gebrochenen Menschen, dessen Welt verschwunden ist, kann Müller vermitteln. So bleiben auch hier am Ende nur Bestürzung und Leere. Ein Ort, wo sich beide Opern treffen.

Vladimir JUROWSKI hat am Pult zum bezwingenden Eindruck des Abends viel beigetragen. Alles in allem keine leichte Kost, aber fesselndes hoch emotionales Musiktheater. Kerstin Schröder