"MACBETH" - 1. November 2003

Als regelmäßiger Operngänger wird man mit der Zeit feststellen, daß man äußerst selten erlebt, daß bei einer Aufführung alles stimmt, also Regie, Sänger und Dirigat. Noch seltener ist es, wenn diese Komponenten quasi eine Symbiose bilden, miteinander verschmelzen. Aber es gibt diese Produktionen. Eine davon ist der Macbeth an der Berliner Lindenoper aus dem Jahr 2000.

Für die Regie zeichnet Intendant Peter MUSSBACH verantwortlich, der das viel zu selten gespielte Werk nicht von der Handlung, sondern vielmehr aus der Psyche, aus dem Wahn der beiden Protagonisten erzählt. Solche Ansätze können schnell gehörig in die Hose gehen, da sie oft peinlich wirken. Allerdings hat Mussbach ein Konzept, das dies verhindert. Der Bühnenraum (Erich WONDER) kommt komplett ohne Requisiten aus. Er ist komplett mit rotem Stoff ausgekleidet (der leider etwas die Stimmen „verschluckt“, jedoch in Kombination mit farbigen Scheinwerfern tolle Farbeffekte bilden). Die Bühne erstreckt sich in den Zuschauerraum um den Orchestergraben herum. Auf der rechten Seite befindet sich eine Treppe und eine Art Loge, in die Banco nach seiner Ermordung geworfen wird.

Durch diesen Minimalismus kann man sich genau auf die Personenführung und die kongenialen Einfälle konzentrieren. Wenn der König im ersten Aufzug zur Bühnenmusik ganz langsam quer über die Bühne „wankt“, und Macbeth und seine Lady wie entrückt auf ihn starren, dann ist man sich nicht wirklich sicher, ob er nun real ist, oder ob es sich um eine Phantasmagorie handelt, die des Königs baldigen Tod vorausahnen machen soll. Die Tatsache, daß eigentlich nur Macbeth und seine Gattin im Licht stehen, die anderen eher schemenhaft im Dunkeln agieren (dazu noch mit dunklen Kostümen), läßt diese noch unwirklicher erscheinen. Sehr genial ist auch der Einfall, Macbeth von zwei Seiten anzuleuchten, was seine Zerrissenheit deutlich macht, während die Lady nur einen Spot ihr eigen nennen kann.

Mussbach verlegt die Handlung nicht nur in die Psyche, er verändert sie auch. So läßt er beispielsweise Banco von Macbeth ermorden und nicht von den Mörder. Das macht auch durchaus Sinn: Diese wichtige Aufgabe kann er einfach keinem anderen überlassen, als ihm selbst, und da er halt ein Mörder der weniger subtileren Art ist, kann Fleance entfliehen. Den Mörder, der ihm von seiner Tat erzählt, läßt der Regisseur dann logischerweise nicht mehr auftauchen, sondern aus dem Off singen. Aber nicht nur Banco stirbt anders, auch Macbeth scheidet nicht so dahin, wie Verdi bzw. Shakespeare es sich gedacht hatten. Nachdem der Wald von Birnam ihn umzingelt hat, greift er sich ans Herz und geht dann seinen Weg ins Nirvana.

Die überwiegend dunklen Kostüme von Andrea SCHMIDT-FUTTERER fügen sich glänzend in das Konzept ein: Macbeth sieht fast so aus wie die Hexen, die Lady trägt eine Art japanischen Bademantel und eine „Steckdosenfrisur“, selbstverständlich ist sie weiß gekleidet (die Unschuld in Person). Ihr goldenes Kleid in der Bankett-Szene ist hinreißend!

Für solch eine Produktion braucht man jedoch hervorragende Darsteller, die die Inszenierung mit Leben füllen können. Die stehen glücklicherweise zur Verfügung, also größtenteils jedenfalls. Andrew RICHARDS, der die Serie für Victor Lutsiuk übernahm, fällt als Macduff durch eine nicht uninteressante Stimme auf. Leider hat er einen Hang dazu, sich durch ein arg prätentiöses Spiel und ebensolchen Gesang in den Vordergrund drängen zu müssen, was insbesondere bei dem Ensemble im Finale des ersten Aktes negativ auffiel. Seine Arie sang er ordentlich, kam jedoch nicht so wirklich rein und hinkte im Tempo stets hinterher, dazu kamen etliche Probleme beim Tonansatz, was man aber auch als Schluchzer durchgehen lassen könnte, ich aber nicht als so viel besser ansähe, wenn es denn so wäre.

Ein hervorragender Banco ist Kwangchul YOUN, der ein äußerst differenziertes Portrait dieser eindeutig zu kurzen Rolle ablieferte und auch sehr gut spielte. Schändlicherweise wurde er beim Schlußapplaus unterschlagen!

Ein besseres Paar für die anspruchsvollen Partien der beiden Hauptrollen zu bekommen als es Sylvie VALAYRE und Lucio GALLO sind, grenzt an Unmöglichkeit! Beide spielen und singen sich in einen nahezu angstmachenden Wahn, stacheln sich gegenseitig auf. Man hat nicht nur das Gefühl, daß sie zu jedem Zeitpunkt wissen, was sie selbst singen, sondern auch, was der Partner singt und gehen auch noch exakt darauf ein, je nachdem wie er das tat. Das ist Interaktion vom Feinsten!!! Beide haben zudem eine perfekte Diktion.

Gallos Bariton tendiert schon in Richtung Heldenbariton (sein Holländer-Debüt steht kurz bevor). Man merkte zwar marginalste Ermüdungserscheinungen gegen Ende, die man aber angesichts dieser einzigartigen Leistung sehr, sehr gerne vergisst. Valayre hat genau die richtige Dramatik für die Lady in der Stimme. Die technischen Herausforderungen meistert sie gekonnt, teilweise mogelt sie jedoch ein wenig, aber wir wollen ja nicht beckmesserisch werden. Es ist unglaublich, wie sie ihre Wahnsinnsszene mit den ganzen Verrenkungen sang und spielte.

In den Nebenrollen glänzte Peter-Jürgen SCHMIDT als herrlich vertrottelter Malcolm. Magdalena HAJOSSYOVA war eine verläßliche Kammerfrau, ebenso verläßlich waren Yi YANG (Mörder, Erscheinung, Arzt), Bernd RIEDEL (Diener) sowie Rahul KULKA und Paul SIEBLER (Erscheinungen).

Die Sänger wurden von Michael GIELEN und der STAATSKAPELLE BERLIN förmlich auf Händen durch die Aufführung getragen. Offensichtlich gingen der Produktion viele Proben voraus, so daß die Chemie zwischen Graben und Bühne jederzeit perfekt stimmte (abgesehen von erwähnter Arie). Was Gielen an Farbenreichtum und Nuancen aus dem Orchester, das er quasi zum dritten Hauptakteur aufwertet holt, ist beeindruckend! Ich habe es noch nie erlebt, daß Streicher von einer Sekunde auf die nächste plötzlich viel dunkler und dumpfer klingen! Das Dirigat zeugt von einer ungemeinen Intensität und dem werkimmanenten Zynismus. Bei Gielen klingen selbst die Tempi, bei denen andere Orchester entweder auseinanderfallen oder lieblos klingen, hochgradig inspiriert. Die vereinzelten Buhrufe für ihn kann ich mir nur damit erklären, daß er sich nicht dagegen durchgesetzt hat, das Ballett zu streichen...

Eine herausragende Leistung ist auch dem STAATSOPERNCHOR unter der Legende Eberhard FRIEDRICH zu bescheinigen, der zudem auch toll spielte - also der Chor...

Aber aufgepaßt: Menschen, die schwache Nerven haben, zu Alpträumen neigen usw., sollten Aufführungen dieser Produktion besser meiden, ebenso solche, die dem modernen Regietheater nichts abgewinnen können, es sei denn sie können das ausblenden, und die Musik genießen. Wenn nicht, sollten sie besser auf eine UNBEDINGT notwendige CD-Aufnahme warten. Es bleibt zu hoffen, daß es eine solche geben wird!!! WFS