"EUGEN ONEGIN" - 13./27. November 2005

Es gibt Oper, die können wir nicht oft genug live hören, und es gibt Opern, die würden wir gern öfter hören (in adäquater Besetzung, versteht sich). Eine davon ist "Eugen Onegin". Die Inszenierung an der DOB von Götz FRIEDRICH bietet den Sängern auch nach fast zehn Jahren ausreichend Raum, den Abend für die individuelle Rollengestaltung zu nutzen. Es war und ist nichts da, was sie daran hindert. Man kann über Details diskutieren (Ballett im sechsten Bild, der merkwürdige Wechsel der Jahreszeiten), aber wirklich stören tut nichts davon. Im Gegenteil, je häufiger wir diese Produktion erleben, desto besser scheint sie zu werden.

In diesem November hatten wir viel Besetzungsglück. Lucio GALLO, der bereits in der Premiere der Onegin war und auch diesem Abend ein werk- (Pushkin-) getreues Rollenbild formte. Musikalisch läßt sich sagen, daß ihm die Hinwendung zu dramatischeren Rollen nicht geschadet hat. Im Gegenteil! Seine Stimme klingt voller und wärmer. Die Schattierungen haben eine interessante Vielfalt.

Endlich, endlich gab es für diesen Onegin auch einmal eine passende Tatjana. Elena PROKINA, schon im Oktober in Hamburg als großartige "Pique Dame"-Lisa zu erleben, durchmißt die Partie ohne technische Schwierigkeiten, man spürt förmlich, wie die emotionalen Ausbrüche aus ihr herausdrängen. Die Briefszene, die bei der Premierenbesetzung arg lang werden konnte, ließ das Durchwachen einer Nacht miterleben, und in der Schlußszene steigerte sie sich noch einmal. Zudem waren da im Spiel kleine, neuen Einfälle zu beobachten, die Tatjanas Charakter noch deutlicher machten.

Neue Perspektiven brachte auch das Wiedersehen/-hören mit Vsevolod GRIVNOV als Lenski. Der Tenor hat anscheinend in den vergangenen Jahren viel an Stimme und musikalischem Ausdruck gearbeitet, so daß es ihm noch besser gelang, die enorme Kraft seiner Stimme zu kontrollieren. Sein kultivierter Gesang und Nuancen, die man in Berlin in dieser Partie noch nicht gehört hatte, paßten gut zu dem durchdachten Rollenporträt vom so überschwenglichen wie letztendlich tragischen (Zweit-) Helden.

Marina PRUDENSKAJA (Olga) ist stimmlich ohne Fehl und Tadel, doch sie konnte die Meßlatte, die Elena Zhidkova seit der Premiere in dieser Rolle (unerreichbar?) hoch gelegt hat, nicht erreichen. Zu steif wirkte sie im Spiel, zu unkokett, zu wenig spontan.

Schon allein durch seine äußere Erscheinung ist Reinhard HAGEN mit seinem Gremin sofort beim Auftreten sofort präsent. Er gibt sich nicht damit zufrieden, allein durch das Absingen der Arie abzuräumen, sondern nutzt die kurze Zeit auf der Bühne, um dem Fürsten eine tiefere Bedeutung als ausschließlich der des "Mannes an Tajanas Seite" zu geben. Schön gesungen war es allemal.

Erfreulich die Neubesetzung der Amme mit Ceri WILLIAMS, die angenehm unaufdringlich agierte und tadellos sang. Ute WALTHER (Larina) sang auch in der 33. und 34. Vorstellung der Produktion ein völlig indiskutables Russisch. Gleiches galt auch über weite Strecken für den CHOR, für den auch diesmal die üblichen Hürden z.B. auf Gremins Fest unüberwindbar waren.

Peter MAUS als Triquet ist als zauseliger, älterer Herr gleichzeitig rührend und komisch. Gekonnt nutzte er seine sängerischen Fähigkeiten, um für seinen kurzen Auftritt zu fesseln. Ebenso kurz war die Chance für Harold WILSON, sich als Saretzki zu profilieren. Er zeigte, daß Berlin immer noch ein exzellentes Klima für junge Bässe bietet. Die Szene wurde aber fast durch Monsieur Guillot (leider nicht namentlich im Programm genannt) gestohlen, der viel Präsenz aufwies, ohne dafür einen Ton von sich zu geben.

Wenn diese Produktion, ihre Sänger und das Publikum etwas endlich verdient hatten, dann war dies ein kompetentes Dirigat. Und tatsächlich! In diesem Jahr war es endlich soweit. Michail JUROWSKI besitzt genug Mut zum Schwelgen, ohne in Kitsch abzugleiten, und mehr als ausreichend musikalisches Gefühl, um etwas nach großer russischer Oper klingen zu lassen, was große russische Oper ist. Besonders erwähnenswert ist sein sensibles, geradezu instinktives Eingehen auf dynamische Wechsel der Sänger. Das ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER spielte nach unserer Erinnerung erstmals in dieser Produktion ohne Makel. MK & AHS