"PARSIFAL" - 9. März 2009

Es ist schon erstaunlich, was ein einzelner Sänger bewirken kann: noch im Frühherbst letzten Jahres gab es für die beiden "Parsifal"-Aufführungen trotz erstklassiger Besetzung (Waltraud Meier, René Pape, Daniel Barenboim) noch reichlich Karten. Dann wurde plötzlich Placido DOMINGO in der Titelpartie angekündigt - und zwei Tage später war die Staatsoper ausverkauft…

Wer sein Interesse mehr auf eine insgesamt gute Aufführung gerichtet hatte, der dürfte die Absage von René Pape als Gurnemanz bedauert haben. Allerdings standen mit Matti Salminen (am 6.3.) und Robert HOLL hervorragende Einspringer zur Verfügung. Holls gleichermaßen machtvolle wie weiche (in den Ansätzen häufig ganz leicht nasale) Stimme ist ideal für die Partie. Der jahrzehntelange Liedersänger Holl weiß um die Wichtigkeit der Worte und ihrer farblichen Abschattierungen, und verleiht der Figur so eine große Lebendigkeit, während Optik und Stetigkeit des gleichmäßig (aber nicht gleichförmig) strömenden Organs gleichzeitig das Gefühl von Ruhe vermitteln; eine großartige Leistung, mit der er zur Zentralfigur der Außenakte wurde.

Placido Domingo hatte den Parsifal vor einigen Jahren eigentlich zu den Akten gelegt. Umso überraschender, daß er sich jetzt noch einmal damit beschäftigte (und obendrein zumindest für den 2.Akt hörbar am Deutsch gefeilt hatte). Natürlich ist das nicht mehr der Domingo von vor zehn Jahren, kann es auch gar nicht sein. Die Stimme hat an Farbe verloren, über manche Passage hilft er sich mittels relativ schneller Tempi hinweg (Daniel BARENBOIM ist den Sängern jederzeit Freund und Helfer), und im Piano ist die Tragfähigkeit begrenzt, was sich im fast unhörbaren "Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön" niederschlägt. Aber insgesamt ist die Leistung doch imponierend. Erstaunlich, über welche Kraftreserven er etwa bei "Amfortas, die Wunde" noch verfügt. Die Linienführung ist über weite Strecken tadellos, und das Phrasieren hat er auch nicht verlernt. Hier weiß einer eindeutig sehr genau, was er singt, auch dann, wenn es mit der Aussprache mal nicht hundertprozentig funktioniert.

Neben diesen beiden fällt Hanno MÜLLER-BRACHMANN im ersten Moment insofern ab, als ihm das für den Amfortas eigentlich erwünschte warme Timbre fehlt, was sich nach anfänglicher Irritation aber durchaus als Vorteil erweist. Sein Gralskönig ist ein aufbegehrender Kriegsmann von bohrender Intensität, kein permanenter Jammerlappen (als den ihn z.B. Claude Debussy gesehen hat). Daß ihm der hervorragend textverständliche Christof FISCHESSER als Klingsor in mancher Härte durchaus ähnlich und obendrein nicht nur Opernschurke, sondern selbst auch Leidender ist, bringt eine zusätzliche Ambivalenz in die Figuren; es scheint am Zufall zu hängen, ob man auf der "richtigen" Seite landet.

Die mahnenden - bei genauerer Betrachtung allerdings vor allem egoistischen - Sätze Titurels waren bei Andreas BAUER gut aufgehoben.

Überstrahlt aber wurde der Abend für mich von zwei Künstlern, die Extremes leisteten. Da war zum einen Daniel BARENBOIM, der mit der zwischen samtenen Streichern und ehern weichem Blech phänomenal aufgelegten STAATSKAPELLE eine Differenzierung in der Dynamik und ein in der Perfektion der schwebenden Übergänge häufig fast schon impressionistisches Klangbild erreichte, wie es außerhalb der besonderen Akustik Bayreuths heute wohl konkurrenzlos sein dürfte. Letzteres gilt auch für den von Eberhard FRIEDRICH einstudierten STAATSOPERCHOR.

Und mit Waltraud MEIER stand wohl "die" Kundry der letzten dreißig Jahre auf der Bühne, unverwechselbar in der Ausformung der Erzählung, bei der man selbst im Pianissimo jedes Wort bis in den 3. Rang hinauf verstand, mühelos in den Ausbrüchen (selbst das von Barenboim allerdings mustergültig vorbereitete "Irre….irre" kam problemlos), und mit einer Ausstrahlung und Verführungskunst allein rein über den Klang gesegnet, die verstehen läßt, warum ihr die Männer bedingungslos verfallen.

Die 2005 stark gescholtene Produktion von Bernd EICHINGER erweist sich inzwischen als repertoiretauglich - im positiven wie negativen Sinne. Man ist nicht zwingend auf immer dieselbe Besetzung festgelegt, und Gastsänger lassen sich selbst bei kurzfristigem Einspringen problemlos integrieren. Erkauft wird dieser Vorteil allerdings mittels weitgehend nicht vorhandener Personenführung; der Regisseur Eichinger hat seine Arbeit dem Filmproduzenten gleichen Namens überlassen, der einige durchaus interessante Videoeinspielungen beisteuert. Ansonsten wird gestanden bzw. die Sänger sind auf die eigenen Fähigkeiten angewiesen. Ein interpretatorischer Ansatz ist erst im 3.Akt erkennbar, zu spät um die Aufführung auch szenisch zu tragen. Das ist insofern schade als die Bühnenbilder von Jens KILIAN nicht nur eine gewisse Ästhetik besitzen, sondern auch Raum zur Interpretation geboten hätten. Hartmut Kühnel