"IDOMENEO" - 25. Mai 2008

Kaum eine Oper ist passender für das 1780 eröffnete neoklassische Grand Théâtre in Bordeaux als der 1781 in München uraufgeführte "Idomeneo", in dem Mozart die neue "Sturm und Drang" Operndramatik auf die Bühne stellte und damit die Opera seria total umkrempelte, trotz des eher hinkenden Librettos.

Alle paar Jahre erscheint ein Sänger, der eine Rolle ideal verkörpert und damit einen Maßstab für Jahrzehnte setzt. Wer unter den älteren Jahrgängen erinnert sich nicht an die Salome der Welitsch, die Lucia der Callas, Gobbis Falstaff, Hotters Wotan, George Londons Boris oder Amfortas. Oder heute Netrebkos Violetta, Villazons Werther. Kobie van RENSBURG scheint nun diese Idealverkörperung für die Rolle des Idomeneo zu sein. Nach seiner umwerfenden Darstellung des Kreter-Königs im vergangenen November in Straßburg, ist er nun an der französischen Süd-West-Küste ans Land gekrochen, bevor er dies im Juli am Ufer des Manzanares in Madrid wiederholt. Der südafrikanische Tenor hat diese gesanglich und psychologisch ungemein schwierige Rolle in den letzten Jahren derartig integriert und die hintergründigen Facetten des vom Fatum verfolgten Kreter-Königs perfektioniert, daß man bei jedem seiner Auftritte in dieser Rolle das Gefühl hat, so etwas nie mehr wieder zu erleben. "Fuor del mar" war eine Sternstunde emotioneller Intensität und gesanglicher Perfektion.

Der griechische Regisseur Yannis KOKKOS, der auch immer für seine Ausstattung zeichnet, hat seinen Homer im Blut und hat uns einige phänomenale Produktionen beschert, u. a. von Berlioz' "Les Troyens" (Châtelet) oder Cherubinis "Médée" (Toulouse und Châtelet). Einzig interveniert noch der ausgezeichnete Beleuchter Patrice TROTTIER. Der Regisseur hat die düstere Handlung vor einer Projektion des aufgepeitschten Meers angelegt, bisweilen verschleiert von einer Sonnenscheibe auf einem Zwischenvorhang, nach Bedarf mehr oder weniger verdeckt. Fünf riesige Quader-Säulen auf Rollen konnten den Platz um einen Sänger einengen, was eine noch bedrückendere Wirkung hatte, wie z. B. in Idamantes Arie "Il padre adorato ritrovo e lo perdo" am Ende des 1. Akts. Die Kostüme sind diesmal im Stil von 1880, lange Gehröcke für die Herren, lange schwarze Kleider für die Damen, Ilia in weiß, Elettra in rostbraun.

Der Regisseur hat sichtlich auch die Führung der Sänger sehr in die Hand genommen. Besonders Ilia ist hier mehr präsent als üblich, nicht das arme Opferlamm, sondern die würdige Tochter des Priamos, eine stolze Trojanerin. Henriette BODE-HANSEN vermittelte diesen Stolz, nicht nur in der Arie "Zefiretti lunghieri", sondern vor allem in der Szene zu Beginn des 2. Akts mit Idomeneo "Sei il padre perdei". Als Idamante gab Jennifer HOLLOWAY mit schönem runden Mezzo der Rolle Glaubwürdigkeit. Kokkos hatte hier auch sichtlich eingegriffen, denn Hosenrollen in der Opera seria sind ja nicht immer glaubhaft - ein Grund mehr, weshalb die Wiener Fassung mit Idamante als Tenor vorzuziehen ist.

Als Elettra hatte die attraktive junge Südafrikanerin Elza van den HEEVER sehr großen Erfolg, eine riesige Naturstimme, die zwar in der Mittellage etwas nasal klingt, aber den halsbrecherischen Höhen völlig gewachsen war. Außerdem hatte sie das schönste Kostüm. Etwas vernachlässigt schien diesmal die Rolle des Arbace, des Vertrauten Idomeneos, dem Donát HAVÁR mit etwas engem Tenor Profil gab, vor allem im prophetischen Arioso "Sventurata Sidon!".

Philippe DO als Gran Sacerdote des Neptun war sehr beeindruckend, besonders wenn er Idomeneo in den Tempel kommandierte: "Al tempio, Sire, al tempio." Als Voce, die das lieto fine ankündigt, war Jérôme VARNIER rolleneckend. Dasselbe gilt für die Chormitglieder Wha Jin LEE, Maryelle HOSTEIN, José-Louis VICTORIA und Jean-Philippe FORCADE, die die Kreterinnen und die Trojaner sangen.

In "Idomeneo" ist der Chor sehr wichtig. Der CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX war von Jacques BLANC - wie gewohnt - bestens einstudiert worden. Die große Überraschung war aber Karen KAMENSEK am Pult des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE. Die junge Amerikanerin, die ohne Stab dirigiert, wußte eine sehr straffe und animierte Interpretation durch zu halten, bereits in der martialischen Ouvertüre bis zum triumphalen Schluß, mit besonderen Akzenten in den Arien und Ensembles. Ein Namen, den man sich merken sollte.

Es war nur unklar, weshalb nach der Proklamierung des neuen Königspaars ein etwa fünfzehn Minuten langes orchestrales Divertimento auf offener Bühne gespielt wurde. Bei der Münchener Premiere (Karneval 1781) ist am Ende ein Ballett gegeben worden, das ich trotz einigen Dutzend Produktionen noch nie gesehen habe. Simon Rattle soll es komplett (über eine Stunde!) in Glyndebourne gespielt haben - zum Leidwesen des Publikums. Kokkos wußte damit sichtlich nicht viel anzufangen, Idamante und Ilia marschierten zwischen den sieben Chor-Reihen, ohne sich zu kreuzen. Völlig unnötig, wie ein Haar in der Suppe!

Ganz großer Applaus für alle Künstler, trotz des etwas hinkenden Schlusses. wig.