Gala-Liederabend Cecila BARTOLI "Um Rossini"

Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde Joan Sutherland "La Stupenda" genannt: eine perfekte Technik, funkelnden Höhen, makellose Läufe und Triller in den großen Rollen des Belcanto Repertoires - das Publikum raste zwischen New York und Mailand! Auf der Bühne war die Aktion allerdings etwas trocken, denn Dame Joan war keine sehr überzeigende Schauspielerin, vor allem im Vergleich mit Maria Callas, die damals mit ihrem vulkanischen Temperament die Bühnen der großen Opernhäuser unsicher machte.

Es war eine ausgezeichnete Idee von Cecilia BARTOLI für den Beginn ihrer großen Tournee "Um Rossini" ein Theater zu wählen, das akustisch für diese Musik ideal ist und als Rahmen kaum besser gewählt werden konnte. Denn das Grand Théâtre de Bordeaux, 1780 erbaut, mit seinen 850 Plätzen ist ein perfekter Rahmen für die romantische Musik des beginnenden 19. Jahrhunderts. La Bartoli hatte auch die passende Garderobe für diesen Rahmen gewählt: im 1. Teil rauschte sie in einer großen, reich bestickten, blauen Empire-Robe auf die Bühne, während es im 2. Teil eine feuerrote war.

Obwohl Cecilia Bartoli immer weniger Opern singt und sich mehr auf Konzerte beschränkt, geht von ihrer Person eine ungewöhnliche Bühnen-Intensität aus. Die makellose Technik hat sie natürlich auch, mit umwerfender Selbstverständlichkeit, daß man die Triller und Mordente der Lieder kaum bemerkt, wenn man nicht sehr genau zuhört. Heute kann man ruhig Cecilia Bartoli als La Stupenda bezeichnen. Sie hat sich seit einigen Jahren auf musikologische Entdeckungsreisen begeben und dabei einige Schätze gefunden, aber auch etwas schmachtenden und schmalzigen Schutt. Mit ihrem Temperament macht Bartoli in ihrer One-woman-show aus jedem dieser Lieder eine kleine Geschichte, eine Szene.

Liebhaber einer geölten Technik und stimmlicher Feuerwerke waren sicher etwas enttäuscht, denn es war kein Opern-Wunschkonzert, sondern wirklich ein Liederabend, einer der interessantesten, den ich je erlebt habe. Von den zwei Dutzend Liedern waren zehn von Rossini, umrahmt von vierzehn anderen von Donizetti, Bellini, Manuel Garcia * und seinen Töchtern Maria Malibran, die mit 28 Jahren starb und Pauline Viardot, die 89 wurde. Viele der Lieder sind kleine Arietten, aber manche sind hörbar von Schubert beeinflußt. Der Abend zeigte auch, daß nicht nur Schubert, Schumann und Gefährten Lieder komponiert haben.

Das Konzert begann mit "La regatta veneziana", drei "Anzolete" Rossinis "Avanti, co passo e doppo la regatta" in venezianischem Dialekt, auf Texte von Francesco-Maria Piave, Verdis Haustexter, kleine Vignetten, elegisch mit passender Wellenbegleitung. Es folgten fünf sehr romantische Lieder von Vincenzo Bellini, deren sentimentale Begleitung bisweilen an Chopin erinnerte. Bei Rossinis "Or Che di fiori adorno", ein Lied in A-B-A-Form, mußte man eher an Schubert denken, mit romantischen Harmonien, Übergängen und ungewöhnlichen Akkord-Auflösungen. Auf einen Text Metastasios war Bellinis "Ma rendi pur contento" sehr lustig, mit zwitschernden Sekund-Akkorden in der rechten Hand der Klavier Begleitung. Der 1. Teil endete mit drei Liedern von Rossini: die elegische "Beltà crudele", die turbulente "Canzonetta spagnuola" und die einzig wirklich bekannte Nummer des Konzerts "La Danza", auf einen Text von Carlo Pepoli?, u.a. Librettist von Bellinis "I Puritani".

Der 2. Teil begann mit vier Stücken von Gaetano Donizetti, die Barcarole "Il Barcaiolo" und die elegische Ariette "Amore e morte", gefolgt von zwei neapolitanischen Walzern, dem langsamen "La conocchia", während "Me voglio fà na casa" ein sehr flottes Stück im Dreivierteltakt ist. Es folgten einige von Rossinis französischen "Mélodies" aus seinen "Péchés de vieillesse" (Alterssünden): auf die sehr tief gesetzte sentimentale "Ariette à l'ancienne" (Text von Jean-Jaques Rousseau), folgte die köstliche "L'Orpheline du Tyrol", eine "ballade élégique" mit Jodel-Einlage und Echo, wo die Bartoli ihrem Spieltalent freies Spiel lassen konnte, und schließlich das tief gesetzte Lied "La grande coquette" mit ständigen Quinten-Sprüngen im presto-Tempo, beide mit einer längeren Klavier-Einleitung.

Den Schluß bildeten Lieder der Familie Garcia: zuerst zwei Lieder von ?Pauline Viardot (1821-1910), selbst berühmte Mezzosopranistin (für die Berlioz Glucks "Orpheus" als Mezzo adaptiert hatte): "La Havanaise", sehr tief beginnend und jede der nächsten Strophen je eine Terz höher. Sehr schmachtend war "Hai luli". Vater Manuel Garcia war vertreten mit der spanischen Arie mit Flamenco-Einlage, "Yo que soy contrabanadista" aus "El poeta calculista" und das offizielle Programm schloß mit der Chansonnette "Rataplan" der jung verstorbenen Tochter Maria Malibran (1808-1836), ein musikalisch nicht sonderlich anspruchsvolles Stückchen.

Als Zugabe gab es zuerst einen von Ernesto de Curtis' Schmachtfetzen, gefolgt von "Canto negro" von Xavier Montsalvatge und zur Auskehr de Curtis' "Non ti scordar di me", was das Publikum aber absolut nicht beeindruckte, sondern eher zur Raserei brachte. Das ganze Haus tobte und bereitete der Diva eine "standing ovation", was ihr eine Wiederholung von Rossinis "La Danza" entriß.

Ein Triumph, an dem der baumlange, sehr einfühlende Pianist Sergio Ciomei sehr aktiv beteiligt war. Ein viel versprechender Beginn für dieses ungewöhnliche Programm mit dem Bartoli - "La Stupenda" - in den nächsten Wochen halb Europa, die USA und Kanada bereisen wird. wig.

* Manuel del Populo Vincente GARCIA (1775-1832) war ein berühmter spanischer Tenor - er war u. a. der erste Conte Almaviva in Rossinis "Barbiere" - Gesangspädagoge und Komponist. Seine Frau war die spanische Sopranistin Joaquina Sitchez. Er lebte hauptsächlich in Paris, wo seine beiden Töchter geboren wurden. Er leitete 1826 (mit Gattin und Tochter Maria) die erste Opern-Tournee durch Nordamerika (USA und Mexiko), wo er in New York "Don Giovanni" aufführte und dabei den aus Europa geflüchteten Lorenzo da Ponte kennen lernte. Sein Sohn Manuel Patricio Rodríguez García (1805-1906!) wurde 101 Jahre alt, war Bariton und der größte Gesangspädagoge seiner Zeit in Paris und London. Welche Familie!