"IL VIAGGIO A REIMS" - 29. März 2010

Bei Rossini, dem es gelang am einem 29. Februar (1792) geboren zu werden und an einem Freitag, den 13. November (1868) zu sterben, ist alles, selbst eine Krönungsoper, nicht sehr ernst zu nehmen. Zumal Charles X nur sechs Jahre später hinaus geworfen wurde! Rossinis einaktige "Krönungsoper" ist deshalb eher eine Farsa als ein Dramma giocoso, Werkbezeichnung, die Mozart für "Don Giovanni" verwendet hatte. Da es sich um ein festliches Auftragswerk handelte, gab es nur zwei Aufführungen (am 19. und 20. Juni 1825) im Théâtre Italien. Was Rossini nicht hinderte ein wahres Feuerwerk zu schreiben, einschließlich ein Dezett und ein Ensemble mit allen 19 Beteiligten mit Chor!

Luigi Balochi schrieb das Libretto in Anlehnung an Mme de Staëls "Corinne ou l'Italie". Die mehr oder weniger aristokratischen Personen der bunten Gesellschaft haben alle eine "Schlag" oder spinnen sonst wie. Rossini und Balochi mokieren sich dabei auch über ihre Zeitgenossen und die opera seria. Rossini verwendete mehrere Stücke seiner letzten italienischen Oper in seiner ersten französischen "Le Comte d'Ory" wieder.

Das ursprüngliche Werk war so gut wie verloren und wurde erst nach langem Suchen in Bibliotheken in Paris, Wien und Neapel wieder zusammen gestückelt. Claudio Abbado führte die neue Fassung von "Il Viaggio a Reims" 1984 in Pesaro in großer-Besetzung auf. Berechtigt, denn 1825 sangen die damaligen Stars in Paris: Giuditta Pasta war Corinne, Laure Cinti sang Folleville, Marco Bordogni Liebenskof und Nicolas Levasseur Alvaro, etc.

Die laufende Reise-Produktion ist eine Initiative eines guten Dutzend Opernhäuser Frankreichs. Das sehr gelungene Spektakel mit ausschließlich jungen Nachwuchssängern - in zwei Besetzungen - hatte Premiere 2008 in Reims und besuchte seither bereits fünfzehn Städte und heuer schon Nizza, Marseille und Toulouse und kam nun am Palmsonntag nach Bordeaux.

Die Szenographie ist einfach und effizient, genau das was man für eine Reise-Inszenierung braucht. Die Drehbühne dreht sich heftigst durch zwei Türen, denn die Gäste des Kurhotels "Zur goldenen Lilie" in Plombières in den Vogesen kommen auf Sitzen einer Reise-Diligence auf der Drehbühne herein, ebenso wie die Versatzstücke (inklusive die Fahrräder des Fitness-Klubs, sowie das Schluß-Gelage). Der italienische Regisseur Nicola BELOFFA hat im Dekor und den verrückten Kostümen von Guia BUZZI in fulminantem Tempo die zehn Hauptdarsteller und neun Comprimarii geführt. Das ganze dramatische Gefüge ist intelligent durchdacht und perfekt durchgeführt, einschließlich der sehr gelungenen Beleuchtung von Gabriele CLEMENT. Die Truppe ist kaum verändert worden und kann sichtlich die Partitur aus dem effeff.

Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Luciano ACOCELLA, der mit sparsamer Gestik die Partitur in den Fingerspitzen hat und praktisch jeden Einsatz gibt. Er ist ebenso zu Hause im opera seria Stil der larmoyanten Szene der Contessa di Folleville, wenn sie ihre verlorenen Hutschachteln beweint, wie in den fulminanten Ensembles. Einfach perfekt! Das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE war sichtbar begeistert, denn die Solisten der einzelnen Gruppen - besonders der Hörner und die Harfe - sind sehr beschäftigt. Dies trifft auch für den CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX zu, der herzlich mitmachte und blendend sang.

Ich sah die B-Besetzung, die sich allerdings sehenswert war! Denn die internationalen jungen Sänger zeigten sich völlig der Aufgabe gewachsen und waren ausnahmslos ausgezeichnet. Allen voran Hye-Myung KANG als Corinna, die römische Dichterin, sieht nicht nur blendend aus, sondern besitzt auch einen ausgezeichnet geführten jugendlich-dramatischen Sopran und spielte sehr treffend. Sie "improvisierte" am Schlusß sehr romantisch "All' ombra amena del Gilio d'oro" (mit Harfen-Begleitung!). In den Höhen hat sie kleine Schärfen, doch das wird sich sicher geben.

Die Mezzosopranistin Kleopatra PAPATHEOLOGOU sang die an ihrem Hochzeitstag verwitwete polnische Marchesa Melibea, mit riesiger Stimme, was sie nicht hinderte die halsbrecherischen Koloraturen brillant zu meistern. Außerdem spielte sie sehr treffend die von mehreren Herren angebetete Witwe, beginnend mit dem spanischen Granden, Don Alvaro, dem Armando NOGUERA die passende Grandezza gab. Die Contessa di Folleville, auch eine junge Witwe und "fashion victim", der sich einige der anwesenden Herren annehmen wollen, war bei Elisabeth BAILEY in besten Händen. Sie fällt genau richtig in Ohnmacht als ihre Hutschachteln bei einem Unfall einer Karosse verschwinden, worauf Patrick BOLLEIRE als Don Prudenzio, der Arzt des Heilstation, "Fu un sincope" deklariert. Folleville erwacht als man eine gerettete Hutschachtel bringt, aus der sie ein winziges blau-weiss-rotes, Brotkorb- ähnliches Gebilde aufsetzt ("Caro! Dal reo naufragio..."). Der sehr musikalische deutsche Major, Baron von Trombonok, steuert lächelnd bei: "La sincope si si fa molto effetto: Mozart, Haydn, Bethoven, Back (sic! Diese Namen deutscher Komponisten sind in der Erstauflage des zwei-sprachigen Textbuchs von 1825 in Paris zu finden!), ne trassera un gran partito", was Vladimir STOJANOVIC mit überlegenem Snobismus darbot. Er sang auch würdig die Haydn-Hymne mit einem sehr paneuropäischen Text: "Or che regna fra di genti la più placida armonia. Dell' Europa sempre fia il felice destin' appien …."

Madama Cortese, die resolute Besitzerin des Hotels war mit Oxana SHILOVA besetzt, die die Rolle bestens, mit großer Komik meisterte. Der Cavaliere Belfiore, der französische Charmeur, Liebhaber der Folleville, der auch Corinne den Hof macht, stellte James ELLIOTT mit Schwung und schönem Tenor dar, während der streitsüchtige russische General Graf Libenskof mit Alexey KUDYRA ausgezeichnet besetzt war, der zwar den Streit zwischen Trombonok und Alvaro schlichtet, aber die Marchesa Malbei verführt ("D'alma celeste, o Dio!"). Der schüchterne Lord Sidney, der täglich Corinna Blumen schickt, war Istvan KOVACS, der mit schönem Baß "God save the King" sang. Er wurde auch noch von dem ausgezeichneten Marco DI SAPIA als Don Profondo, Sammler von Antiquitäten, mit seinen Fragen zur Verzweiflung gebracht ("E matto!"). Umwerfend war er mit seinen schönen warmen Bariton, wenn Profondo das Inventar der Besitzungen der Reisenden macht.

Die Comprimarii waren ebenfalls sehr gut besetzt, Ekaterina METLOVA als Maddalena, der Gouvernante des Hotels, Jean-Christophe BORN als Koch Don Luigino, Rany BOECHAT als Modestina, der schüchterne und etwas beklopfte Zofe der Folleville, Céline KOT als Délia, ein griechisches Mündel und Corinnas Reisebegleiterin, der Bellboy Zefirino, den Baltazar ZUNIGA lustig mit einer zu großen Mütze darstellte. Yann TOUSSAINT und Romain PASCAL waren die Diener Antonio und Gelsomino.

Das Publikum war begeistert, lachte oft und laut und unterbrach mehrmals die Vorstellung mit Szenenapplaus. wig.