"JENÚFA" - 7. Mai 2010 (Premiere, EA in loco)

Immerhin hat es 106 Jahre nach der Brünner Uraufführung 1904 gedauert, bis Janáceks "Jenúfa" es bis nach Bordeaux geschafft hat. Dabei fand die französische Erstaufführung schon 1974 in Lyon statt, aber in französischer Sprache, denn tschechisch singende Sänger waren damals eher selten. Seither gab es zahlreiche Aufführungen in Paris und an allen Ecken von Frankreich, besonders die prächtige Produktion 2007 in Nantes mit Guryakova in der Titelrolle, die kürzlich in Marseille wieder aufgenommen wurde.

Janáceks "Jenúfa" hat es schwer gehabt, denn das Prager National-Theater brauchte zwölf Jahre, bevor die Oper 1916 gespielt wurde. Zwei Jahre später hatte "Jenúfa" Premiere an der Wiener Hofoper in der Übersetzung von Max Brod mit Maria Jeritza in der Titelrolle und begann ihren Siegeszug durch die ganze Welt - Janácek war grad 64!

Das Problem war das naturalistische Libretto, das Janácek nach dem Theaterstück "Ihre Stieftochter" von Gabriela Preissova adaptiert hatte. Das Drama hatte zwar bereits 1890 in Prag seine triumphale Uraufführung, von der tschechischen Dramaturgin nach zwei Zeitungsberichten verfaßt, wurde aber nach fünf Aufführungen abgesetzt. Eine Hetz-Kampagne der lokalen Presse erklärte das Stück als "schmutzig" und "verkommen". Das erklärt vermutlich auch die lange Wartezeit für Janáceks Oper in Frankreich, denn "Jenúfa" wurde als eine Art mährische "Cavalleria rusticana" angesehen und der Komponist eher als "folkloristisch" eingestuft. Trotz der überwältigenden Modernität der Musik dieses Werkes, die direkt zu "Wozzeck" führt.

Die sehr geglückte Produktion kam von der Oper in Monte-Carlo. Die völlig "normale" Inszenierung von Friedrich MEYER-OERTEL ist beispielhaft! Der Regisseur hat in keiner Weise versucht, die eher banale Geschichte zu "deuten", sondern beschränkte sich auf das Hauptproblem, die gegenseitige Abhängigkeit von Jenúfa und Kostelnicka, sowie den gesellschaftlichen Druck, unter dem beide leiden, und an dem sie schließlich zerbrechen. Das einfache Bühnenbild und die hübschen Kostüme von Heidrun SCHMELZER waren dabei sehr erfreulich. Im 1. Akt sieht man eine leicht hügelige Fläche, die im 2. Akt von einem riesigen Holzdach überdeckt wird, unter dem Jenúfa an einer alten Tret-Nähmaschine für ihr Kind näht. Im 3. Akt wird die Nähmaschine durch eine "Festtafel" ersetzt. Die Bauernmädchen waren einheitlich in kleidsame blaue Kleider und die Burschen in graue Jacken gekleidet. Die von Hanns HAAS erstellte Beleuchtung war äußerst passend; sehr schön war die große Szene Jenúfas im 2. Akt im Mondlicht, das durch ein Klapp-Fenster im Dach hereinfällt. Alles unauffällig und passend, es geht also auch so.

Karen KAMENSEK am Pult war die Sensation des Abends. Die junge amerikanische Dirigentin hatte hier vor zwei Jahren eine sehr schöne Produktion von "Idomeneo" geleitet und war für ein Konzert des ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX-AQUITAINE eingesprungen, das sie mit einer hinreißenden Darbietung von Debussys "La Mer" beschlossen hatte. Sie hat mit Janáceks Werk und dem Orchester ein sehr gutes Einverständnis, vielleicht, weil sie eine Frau ist. Ihr Dirigat war besonders intensiv, und sie brachte die musikalische Dramatik des Werkes sehr differenziert zur Geltung, wie die vielen ostinaten, schicksalshaften Stellen der schwierigen Partitur, die sie zum ersten Mal dirigierte! Ganz großartig war das mit dem Blechchoral an die (spätere) "Sinfonietta" erinnernde apokalyptische Finale, das Karen Kamensek hervorragend steigerte. Ihre Begleitung der Sänger war beispielhaft, zumal es für mehrere Sänger ein Rollendebüt war. Der CHOR DER OPER VON BORDEAUX unter der Leitung von Jacques BLANC war hervorragend und nahm sehr erfreulich an der Handlung teil.

Mireille DELUNSCH in der Titelrolle war großartig. Die blonde Elsässerin hat mit ihrer Gestaltung der Jenúfa ein eindrucksvolles Rollendebüt und eine neue schwierige Charakter-Rolle in ihre lange Liste eingeschrieben. Das ist sehr erfreulich, denn die Sängerin hat in den letzten Jahren mehrere Fehler begangen (Elsa und Violetta sind ziemlich schief gegangen). Ihre Stimme ist schwerer geworden und zeigt nun sehr viel dramatischen Ausdruck, wie in dem innigen Gebet des 2. Akts oder in der Versöhnungsszene mit Laca. Daß sie sehr gut spielt und ebenso gut aussieht, ist natürlich ein großer Vorteil.

Ebenso eindrucksvoll war Hedwig FASSBENDER als Kostelnicka. Die deutsche Mezzosopranistin hatte auch etwas "am Strang gezogen" und sich ins hochdramatische Fach gewagt, was der Stimme nicht gut bekommen ist. Mit der Rolle der Küsterin hat Fassbender das Charakterfach gewählt, das sie zwar stimmlich an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringt (vor allem in den Höhen). Ihre sehr intensive Darstellung der Rolle hinterließ jedoch einen hervorragenden Eindruck. Die dritte Frauenfigur ist die Grossmutter Buryjovka, der Sheila NADLER hier einen eher versöhnlichen Charakter gab. Wir hatten sie bereits vor drei Jahren in dieser Rolle gesehen in Nantes, und damals war die Gestaltung viel härter.

Bei den Herren ist in erster Linie der Laca zu nennen, dem Stuart SKELTON eine sehr heldentenorale Darstellung gab (er hat bereits Parsifal und Tristan gesungen). Die riesige Stimme des Australiers trägt sehr gut, und sein Spiel zwischen tiefer Liebe und Eifersucht ist sehr überzeugend. Namen merken! Gregory TURAY gab dem Števa die passende Darstellung des leichtsinnigen und wohlhabenden Dorf-Schönlings, der Verantwortung scheut, und der selbst am Schluß nicht klüger geworden ist. Ein wenig zerknirscht ist der Amerikaner schon, wenn Kostelnicka ihn im 2. Akt auf den Knien bittet, Jenúfa zu heiraten.

Die kleineren Rollen waren auch mit guten Sängern besetzt. Der Müller-Gesell von Jean-Manuel CANDENOT, ein lokaler Bariton, der bereits in Bordeaux mehrmals sehr guten Eindruck hinterlassen hat, war sehr passend. Ein eingebildeter Bürgermeister war Jean-Philippe MARLIÈRE und Marie-Thérèse KELLER seine überhebliche, keifende Gattin. Laure CRUMIÈRE sang schnippisch deren hübsche Tochter Karolka. In den kleinen Rollen war Aurélie LIGEROT als Schäferbub Jano passend, ganz glücklich darüber, daß Jenúfa ihm das Lesen beibringt. In kleinen Rollen waren Olga FEDOROVA (Magd), sowie vier Chormitglieder, Eve Christophe-FONTANA (Barena), Florica Marilena GOYA (Bäuerin), Maryelle HOSTEIN (Tante) und Loick CASSIN (alter Bauer), durchweg rollendeckend.

Thierry Fouquet, der Direktor der Oper in Bordeaux, hat es gewagt, nach mehreren Erstaufführungen ein weiteres, schweres Werk dem eher konservativen Publikum zu bieten, das aber die Initiative enthusiastisch aufnahm. Stürmischer Applaus für alle Künstler, besonders für Delunsch und Fassbender, sowie für die zarte Karen Kamensek, die zwischen den beiden großen Tenor-Recken um zwei Köpfe kleiner war... wig.