"DIE SCHULE DER FRAUEN" - 28. November 2010

Triumphale französische Erstaufführung

Rolf Liebermann (1910-1999) war nicht nur ein weltweit berühmter und geschätzter Operndirektor, vor allem in Hamburg und Paris, sondern auch ein bedeutender Komponist. Vor allem in dieser Funktion ist er mit Salzburg verbunden, denn zwei seiner Opern wurden bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt ("Penelope", 1954 und die dreiaktige deutsche Fassung von "Die Schule der Frauen", 1957). Diese Oper hat eine eigentümliche Vorgeschichte, denn das Louisville Orchester in Kentucky (USA) hatte sie als Auftragswerk (auf Englisch) bestellt und 1955 in Louisville uraufgeführt. Dieses amerikanische Orchester hat in den 1950er und 60er Jahren unter der Leitung seines Chefdirigenten Robert Whitney weltweit mehr als 130 Kompositionen in Auftrag gegeben und in jedem Abonnement-Konzert eines der Auftragswerke uraufgeführt. Liebermanns Oper "School of wives" dirigierte Moritz Bomhard 1955 mit den Sängern der Louisville Opera und hat sie gleich auf LP eingespielt. Dies ist umso mehr überraschend, denn Louisville ist die mittelgroße Hauptstadt (heute ca. eine halbe Million Einwohner) des US Staates Kentucky, der in erster Linie für Tabak, Whisky und so genannte "Hill-Billy-Music" bekannt war und ist, alles Dinge, die nicht unbedingt avantgardistisch oder tragend sind.

Rolf Liebermann stammte aus einer alten Berliner Dynastie, der auch der Maler Max Liebermann und der ermordete Kanzler Walther Rathenau entstammten. Seine Musik ist vielleicht nicht "umwerfend modern", hat aber beachtliche Substanz. Was ihn nicht hinderte, 1954 bei den Musiktagen in Donaueschingen, der Dodekaphonie-Hochburg, sein "Concerto for Jazzband and Symphony Orchestra" aufzuführen - das dort Kopfschütteln auslöste. Diese Gattung der Musik der 1950er Jahre wurde dann als Crossover-Music bezeichnet. Dieses Concerto wurde übrigens im Juni 1955 in Wien erstaufgeführt und sehr gefeiert. Als gewiegter Theatermann hat Liebermann nie das Publikum vergessen und immer sehr dramatische und publikumswirksame Werke geschrieben, wie die 2002 in der Bastille-Oper posthum erstaufgeführte "Medea".

Wenn ein Opernnarr eine Oper nur einmal in seinem Leben vor über einem halben Jahrhundert gesehen, aber noch einen sehr guten Eindruck in Erinnerung hat und seither erfolglos versucht, diese wieder zu sehen, freut er sich, diese Erinnerung auffrischen zu können, besonders wenn dies sozusagen "vor der Haustür" stattfindet. Bisweilen ist man enttäuscht, oft aber freut man sich, daß man als junger Mann bereits ein Werk richtig eingeschätzt hat. Letzteres ist mir mit Liebermanns "Schule der Frauen" passiert, denn ich habe 1957 die Uraufführung in Salzburg erlebt und besitze außerdem die amerikanische einaktige Erstfassung von 1955 auf LP Platte.

Es war der große Verdienst von Thierry Fouquet, Direktor des Grand-Théâtre in Bordeaux, der an der Pariser Oper mit Liebermann gearbeitet hatte, zum 100. Geburtstag des deutsch-schweizer Komponisten diese Oper entdeckt und zur französischen Erstaufführung gebracht zu haben. Und das prächtige Grand Théâtre (von 1770) in Bordeaux war natürlich ein idealer Rahmen dafür. Zwar wurde "L'École des femmes" angekündigt, aber es wurde die Salzburger deutsche Fassung des Dramaturgen und Librettisten Heinrich Strobel gespielt. Musikalisch und dramatisch ist "Die Schule der Frauen" ein ausgesprochen gelungenes Werk. Komponist und Librettist ergänzen sich hier nahtlos. In der knapp zweistündigen Oper (mit kurzer Pause) hat Strobel Molières fünfaktige Komödie auf drei reduziert und adaptiert, denn Poquelin/Molière tritt persönlich auf und greift mehrmals in die Handlung ein. So wenn er bereits im 1. Akt Arnolphe rügt: "Ich bin der Autor dieses Stücks! Ich bin Molière!", worauf Arnolphe antwortet: "Zum Teufel mit dem Autor!" Bis zum Deus ex machina-Auftritt am Schluß. Dabei gibt es natürlich einige Seitenblicke auf andere alte Eseln, die eine junge Unschuld vom Lande heiraten wollen. Bartolo aus Rossinis "Barbiere" wird verulkt und "Falstaff" und andere haben sichtlich bei der Verfassung des Librettos Pate gestanden, auch "Die schweigsame Frau" ist nicht weit. Die Erklärung der zahlreichen "Seitenblicke" würde mehrere Seiten einnehmen.

Liebermann hat diese Farce mit einer sehr ausgefeilten und geistvollen Musik in der seit den 1920er Jahren beliebten neoklassischen Art vertont ("Die Liebe zu den 3 Orangen" wurde 1921, "Pulcinella" 1922, "Die schweigsame Frau" 1935, "Capriccio" 1942, "The Rake's Progreß" 1952, etc. uraufgeführt). Es gibt mehrere Anklänge an "Ariadne auf Naxos", und Liebermann schrieb bravouröse Belcanto-Arien für die junge Agnès (eine Rolle, zwischen Zerbinetta und Alkestis, die für die blutjunge Anneliese Rothenberger geschrieben wurde), einen gelungenen dramatischen Monolog Arnolphes mit dem Refrain "Ich habe das Spiel verloren!" im 3. Akt, mehrere Duette und Arien und sehr geschickte und amüsante, bisweilen fugierte Ensembles. Aber auch Ländler und Walzer werden aufgeboten. Die Orchestrierung ist sehr farbig und gibt vor allem den Bläsern vielfach Gelegenheit sich zu zeigen, wie das Englischhorn Solo in der Ouvertüre - sehr an "Ariadne" erinnernd - oder der Auftritt Henris mit Trompeten-Geschmetter. Das Ganze wird mit einem an Rossini anklingenden accellerando Schluß-Sextett beendet ("Voulez-vous donner de l'esprit a une sotte, enfermez-la!".). Kurz davor gibt es noch eine Erkennungsszene mit einem direkten Text-Zitat aus Mozarts "Figaro" "Er ist ihr Vater, er sagt es ja selbst!" Liebermann ist ein ganz großer Könner, und seine Musik ist ausgesprochen geistreich. Es macht ihm hörbar Freude, diese Musik zu schreiben und das Publikum zu unterhalten, das ihm auch dankbar folgte und mehrmals herzlich lachte.

Der Regisseur, der bekannte französische Schauspieler Eric GÉNOVÈSE, Sociétaire de la Comédie française, zieht alle Register der Zeit der Komödie Molières. Das Einheitsbühnenbild von Jacques GABRIEL und Claire STERNBERG ist denkbar einfach und effizient: ein durchsichtiges einstöckiges, quadratisches Haus, das sich drehen kann (bisweilen recht schnell) ist die ganze Szenerie. Im 3. Akt sind die Wände weg, und das Liebespaar tanzt vor dem besternten Himmel. Links vorne steht noch Molières Schreibtisch mit einem kleinen TV-Monitor, worauf der Dichter die Vorgänge auf der Bühne verfolgt und nach Bedarf einschreitet. So wird er Alain, Faktotum Arnolphes, oder die alte Frau, die Agnès Horaces Liebesschmerz übermittelt und am Schluß Henri, der aus Amerika zurückkehrende Vater von Agnès, der seine Tochter mit dem Sohn seinen Freundes Oronte vermählt, der zufällig ihr Liebhaber ist. Die sehr kleidsamen Kostüme von Luisa SPINATELLI - besonders das bildhübsche rot-hellblaue Kleid Agnès' - finden in der Schlußszene ihren Höhepunkt, wo Agnès' Vater Henri (Molière) als Uncle Sam mit Fliegerbrille und Flügeln einfliegt. Zum Schreien! Sehr geschickt war auch die Lichtregie von Olivier TESSIER, vor allem die indirekte Beleuchtung des Inneren des Hauses in verschiedenen Farben. Traumhaft!

Der holländische Dirigent Jurjen HEMPEL hatte sichtlich viel geprobt und aus dem ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE in kleiner Besetzung eine Vielfalt Nuancen aus der farbigen Partitur herausgeholt. Der sehr engagierte Dirigent und das Orchester hatten hörbares Vergnügen die bisweilen sehr witzige Musik zu spielen, in der alle Pulte zur Geltung kommen, sogar ein Cembalo.

Die sechs Sänger - alle schon hier oder in Paris gesehen - waren ausnahmslos hervorragend und äußerst passend für die Rollen. Obwohl für keinen der Sänger Deutsch die Muttersprache ist, war die Diktion großteils recht gut, daß man meist den Text verstand! An der Spitze war natürlich der Autor, Poquelin/Molière in Person, den der hünenhafte Paul GAY mit souveräner Kunst auf die Bühne stellte. Im Handumdrehen wird er der Diener Alain im Haushalt Arnolphes. Aber auch der aus USA zurückkehrende Henri, der Vater von Agnès. Köstlich die kurze Szene, wo er die alte Frau falsettierend bucklig mimt! Mit seinem kultivierten Basso cantante dominierte er das ganze Ensemble.

Arnolphe war bei dem Engländer Andrew GREENAN bestens aufgehoben. Er bringt nicht nur seinen angenehmen Charakter-Baßbariton sehr gut zur Geltung, er besitzt auch eine ausgezeichnete Diktion und spielt blendend den geilen eifersüchtigen Alten. Sein Mündel, die junge Agnès war die hübsche Daphné TOUCHAIS, die entzückend die naive Unschuld vom Land, die es aber faustdick hinter den Ohren hat, spielte und hervorragend sang. Sie besitzt einen angenehmen Koloratur-Sopran, der sehr gut trägt, und den sie klug und ausdrucksvoll einsetzt. Sie ist sichtlich dem Soubretten-Fach entwachsen, das sie seit Beginn ihrer Karriere singt. Ihr Liebhaber Horace - stimmlich eine Art Fenton - der auf einem feuerroten Fahrrad auffährt, war der junge Australier Michael SMALLWOOD, der einen hübschen und gut geführten Spiel-Tenor sein eigen nennt. Er spielt den sehr naiven Jüngling mit Herz und guter Laune. Das junge Liebespaar braucht aber noch etwas Nachhilfe für die deutsche Diktion.

Als Magd Georgette im Haus Arnolphes war Sophie PONDJICLIS sehr gut am Platze. Die heute beste Figaro-Marcelline hat hier eine weitere dieser schwierig zu besetzenden Charakter-Rollen in ihr Repertoire aufgenommen. Als Oronte, Horaces Vater, der - auch auf Fahrrad - nur ganz am Schluß auftritt, war Jacques SCHWARZ mit bester Diktion rollendeckend (er lehrt an der Musikhochschule Hannover). In der Führung der Sänger sah man die Hand von Eric Génovèse, der genau weiß wie man sich auf der Bühne in einer Komödie bewegen muß.

Weshalb sollen gute Opern eigentlich immer ernst oder tragisch sein? "Barbiere", "Italiana in Algeri", "Don Pasquale", "Elisir d'Amore", "Falstaff", "Schweigsame Frau" oder eben die "Schule der Frauen" sind die besten Gegen-Beweise. Wie mir der Dirigent Jurjen Hempel sehr treffend sagte "‚Schule der Frauen' ist Zerbinetta meets ‚Fledermaus'".

Ein sehr geistvoller und erfreulicher Abend! Seit Wochen gab es keinen einzigen Platz mehr, und das volle Haus feierte die Künstler triumphal.

Eine Empfehlung an alle Theaterdirektoren (die übrigens in Massen kamen): diese entzückende Produktion einladen! Warum nicht im Theater an der Wien oder im Cuvillié-Theater? wig.