"L'ITALIANA IN ALGERI" - 25. Januar 2011

Drei Monate nach "Tancredi" im Teatro Fenice hatte der einundzwanzigjährige Rossini mit "L'Italiana in Algeri" am 22. Mai 1813 seinen zweiten Riesenerfolg. Das zweiaktige Dramma giocoso wurde im Teatro San Benedetto in Venedig uraufgeführt, und Rossini wurde damit über Nacht weltberühmt. Der Erfolg der "Italiana" war nie in Frage gestellt, sie gehört zu den beliebtesten Opern Rossinis.

Diese Koproduktion mit dem Maggio Musicale Fiorentino, dem Teatro Real Madrid, der Houston Grand Opera und der Opéra National de Bordeaux, ist sicher die schönste und witzigste Inszenierung einer Rossini-Oper, die ich seit Jahrzehnten gesehen habe. Bühnenbilder und Kostüme wurden in den Werkstätten in Bordeaux und die vielen Versatzstücke in Madrid fabriziert. Die Produktion begann ihre Tournee 2009 in Florenz und kam gerade aus Madrid zurück.

Regisseur Joan FONT, Begründer und Direktor der Truppe ELS COMEDIANTS in Barcelona, hat eine atemberaubende Bilderbuch-Inszenierung gemacht, an der seine Mitarbeiter, der Bühnen- und Kostümbildner Joan GULLÉN und der Beleuchter Francisco PLANAS sehr verdienstvoll beteiligt waren. Es bedarf vieler Einfälle und Phantasie, um einen so geistreichen Dekor zu schaffen. Alles spielt vor einem Hintergrund, der abwechselnd das Mittelmeer oder das beleuchtete Algier darstellt, mit sechs Stufen herab zur Bühnenfläche, wo mehrere Versatzstücke (ein Hochsitz, gekachelte Fenster, ein riesiger Käfig, aufgehängte Wäsche usw.) die verschiedenen Szenen möbeln. Ein basiliskenköpfiges Wesen entpuppt sich als der flinke Schoßtiger Mustafas.

Es wimmelt von geschmackvollen, charmanten Gags und vielfarbigen, bisweilen himmlischen Kleidungen, ohne Kitsch, z. B.: der Beginn des 1. Akts spielt im Frauen-Bad des Beys Mustafa. Sechs Eunuchen links und sechs rechts schwingen langsam weiße und blaue Schleier, die zwischen ihnen gespannt sind, und die "Wellen" des Bassins darstellen: Szenenapplaus! In Isabellas Lobhymne auf die Italiener im 2. Akt "Amici, in ogni evento" spielen die Seeleute - als Spaghettiköche verkleidet - vor einer gigantischen Kanone, bestehend aus einer (mindestens 50 l) Chianti-Flasche, die beim Entkorken Flitter schießt! Am Schluß erscheint - à la "Holländer"- ein schwarzes Geisterschiff im Hintergrund von dem man nur das Segel sieht; die Spaghettiköche/Seeleute kommen mit ihrem Gepäck - die Planken des Schiffs - bauen es aus und hauen ab, während Pappataci Mustafa auf einem Hochsitz in 4 m Höhe seine Spaghetti verschlingt, usw.. Dutzende solcher Einfälle, die auch nach zweieinhalb Stunden nicht langweilig werden. Die Personenführung von Joan Font ist natürlich auf den Millimeter genau, was bei einer so inspirierten Inszenierung absolut notwendig ist.

Musikalisch war die Aufführung ausgezeichnet. Bereits in der Ouvertüre fühlte man, daß es ein fröhlicher Abend sein wird: das Frage-und-Antwort-Spiel zwischen Oboe und Piccolo war perfekt, daß man das Beste erwarten konnte - und man wurde nicht enttäuscht. Paolo OLMI leitete das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE mit Schwung und Italianità; wie man sie nicht oft hört. Der unterschätzte italienische Maestro weiß genau die accelerandi und rubati dort einzusetzen, wo sie sein sollen. Absolut atemberaubend das Finale des 1. Akts, das ganz langsam begann, dann die kurze Unterbrechung durch Mustafa, gefolgt von einer zum Presto steigernden Stretta. Fabelhaft! Der neue Chorleiter, der Engländer Alexander MARTIN, hatte den CHOR DER OPÉRA NATIONAL DE BORDEAUX bestens einstudiert, alle Choristen waren vollbeschäftigt - und das sagte ihnen sichtlich zu.

Die Sänger waren durchwegs sehr gut, angeführt von Bey Mustafa, dem Luciano DI PASQUALE in einem sehr fülligen Kostüm nicht nur durch seine Bühnenpräsenz, sondern auch stimmlich sehr viel Substanz gab. Die allseits begehrte Isabella war die junge Amerikanerin Daniela MACK, die ihre Koloraturen sehr gepflegt perlen ließ und auch blendend spielte. Daß sie auch sehr gut aussieht, ist kein Nachteil. Ihr Liebhaber Lindoro kam auch aus den Staaten, Alek SHRADER. Mit seinem gepflegtem tenore di grazia erinnert er an den jungen Rockwell Blake. Nach seiner Kavatine "Languir per une bella" hatte er seinen ersten Szenen-Applaus, dem noch mehrere weitere folgen sollten; wie bei der 2. Arie "Oh, come il cor di giubilo", wo er drei Sandkübeln leert und ausziehbare Sandburgen aufstellt! Er spielte auch den frechen, aufmümpfigen Sklaven sehr gut, der auch der eigentliche Drahtzieher ist.

Riccardo NOVARRO als Taddeo spielte etwas weniger vertrottelt als gewohnt die undankbare Rolle des nie erhörten Liebhabers, denn er sang bestens, entweder mit einem halben Meter hohen Zylinder auf dem Kopf oder mit einem riesigen Turban als Kaimakan. Nahuel DI PIERO als Haly wollte ständig Taddeo aufspießen und sang gut seine hübsche Arie "Le femmine d'Italia" im 2. Akt. Daß Mustafa sich von Elvira trennen will, ist schwer verständlich, denn Mélody LOULEDJIAN ist auch eine ausgesprochen schöne Frau und singt einfach prachtvoll (ihr Sopran dominierte sie mehrmals die Ensembles) - nur ein bißchen aufdringlich ist sie, aber das gehört ja zur Rolle. Claire LARCHER war eine hübsch singende und spielende Zulma. Nicht zu vergessen der Tänzer Alfonso CAYETANO als Schoßtiger, der Taddeo ebenso Furcht einflößte wie der spießende Haly.

Erst der fallende schwarze Vorhang konnte das begeisterte Publikum nach langem Applaus zur Heimkehr bewegen! wig.