"ARIADNE AUF NAXOS" - 23. Februar 2011

Richard Strauss und Hugo von Hoffmannsthal haben mit "Ariadne auf Naxos" nicht nur eine erweiterte Bühnenmusik für Molières "Bürger als Edelmann" geschrieben; der Komponist schleudert seine Verachtung für die Mäzene in den Saal und vor allem, wenn diese einzig und allein damit "angeben" wollen. Am Morgen nach der Premiere von "Ariadne" in Bordeaux, las ich im Wiener "Standard" auf Internet, daß der Opernball wieder einmal für Aufregung sorgte. Es ist zu vermuten, daß viele der Besucher des Balls selten oder gar nicht während der Saison die Wiener Oper besuchen. Genau das prangert ja der geniale Text Hoffmannsthals an - es hat sich wirklich nichts geändert seit 1913!

Die Komposition der "Ariadne" hat aber auch eine eigene, eher ungewöhnliche Geschichte und wirft ein ganz weiteres Problem auf: das alte Problem zwischen Wort und Musik einerseits und zwischen opera seria und opera buffa andererseits, ein Streit; den Strauss über 20 Jahre später wieder in "Capriccio" aufwerfen sollte. Doch diese künstlerische Seite hat das Bühnenteam - leider - total verpatzt.

In Frankreich nennt man die neureiche Angeberei "Bling-bling"-Gesellschaft (Motto: "Wer mit 50 keine Rolex trägt, hat sein Leben verpfuscht!"), und man hatte eine entsprechende Inszenierung erwartet. Das ist nur teilweise gelungen, denn der Regisseur Roy RALLO ist kein "Einheimischer", sondern stammt aus Süd-Kalifornien. Dort ist Schickeria oder "Bling-bling"-Gesellschaft ja Gewohnheit. Im Vorspiel wird die Eingangshalle des "Hauses des reichsten Mannes von Wien" in eine schicke Kunst-Galerie verwandelt. Bereits vor Beginn der Vorstellung bei offenen Vorhang thront vor einer weißen Wand eine riesige, orange-gelbe Plastik-Skulptur des Minotaurus (aber mit nur einem Horn; Bühnenbild: Marsha GINSBERG), ganz im Stil von Andy Warhols "Factory", von Rallo auch so gewollt. Ein junger Mann mit einer kleinen blauen Picknick-Kühltruhe sieht sich das kleine Schildchen an der Wand an und schießt - wie ein kleiner Junge - auf das Kunstwerk mit ausgestreckten Fingern "Pan! Pan!": das ist der Komponist. In diesem Augenblick hebt Dirigent Kwamé RYAN den Stab und beginnt mit der Musik.

Zerbinettas Komödianten-Truppe ist dementsprechend ein recht lässiger Verein und auch danach gekleidet (Kostüme: Doey LÜTHI), d. h. zwischen zerlumpt und H&M. Auch die sonstige Gesellschaft trägt gewöhnliche Straßenkleidung. Dieses Konzept ist in der heutigen neureichen Geld-Gesellschaft und über 90 Jahren nach der Uraufführung - mit einem zwinkernden Auge - vertretbar und gibt Anlaß zu einigen recht netten Gags: so bricht der Haushofmeister das einzige große Horn des Minotaurus ab und überreicht es dem Komponisten, was andeutet, daß man für Kunst und Kultur in diesem Haus wenig oder gar nichts übrig hat.

Doch gibt es einiges zu kritisieren. Denn das Konzept versinkt im 2. Teil in banalsten Trübsinn, denn Mr. Rallo hat mit der eigentlichen Oper aber schon gar nichts anzufangen gewußt. Er hat nur den einen oder anderen Aspekt der zeitgenössischen bildenden Kunst aufgegriffen und daraus eine "installation" oder "performance" gemacht und auf die Oper angewandt. Najade und Dryade sitzen im Hintergrund auf einer - natürlich schicken und teuren - Designer-Couch und werden mehrmals von Statisten mit schwarzer Asche begossen. In einem besonders banalen Kleid sitzt Ariadne unbeweglich auf einem Stuhl in einem Quadrat von Neonröhren und singt ihre große Szene ab. Zerbinetta und ihre nun weiß geschminkten Kumpane gesellen sich zu ihr und treiben ihren Unfug in und um das Neonröhren-Becken. Dazu trägt Harlekin ein kleines Schiff auf dem Kopf und ist mit einem Schwert aus Sperrholz bewaffnet, das er während seines Auftritts langsam zerbröckelt... Der Sinn all dieser "Symbole" ist selbst einem guten Kenner des Werks schleierhaft. Worauf sich Ariadne mit gespreizten Beinen links vorne, an eine Säule gelehnt, hinsetzt. Erst wenn Bacchus ruft, erhebt sie sich. Am Schluß stehen sich Ariadne und Bacchus praktisch unbeweglich in einem Meter Abstand gegenüber und singen ihr Duett ab. Personenführung scheint für Mr. Rallo ein Fremdwort zu sein. Schwamm darüber! Christopher Akerlind, aus Wexford bestens bekannt, beleuchtete, wie es der Regisseur wollte.

Der musikalische Teil des Abends war erheblicher erfreulicher, ja mehrmals ausgezeichnet. Für die Mehrzahl der Sänger war der Abend ein Rollendebüt, einschließlich für den Dirigenten Kwamé Ryab, dem noch eine gewisse "Familiarität" mit der Oper fehlt. Neben einigen sehr subtilen Stellen - besonders das Treffen zwischen Komponist und Zerbinetta war sehr schön und innig - war das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE selbst in kleiner Besetzung mehrmals zu laut.

Daß Strauss in erster Linie für Frauen geschrieben hat, ist ja nicht neu. Die Damen hielten sich auch bestens und holten ein Maximum aus ihren sehr dankbaren Rollen heraus. Heidi MELLON, die wir vor zwei Jahren hier als Elizabeth in "Tannhäuser" sahen, sang Ariadne. Ihr großer Monolog in der Oper gelang ihr vorzüglich, besonders "Ach, von allen wilden Schmerzen …." und "In den schönen Feierkleidern" war sehr intensiv und gefühlvoll gesungen. Diese Rolle ist für ihre Stimme heute sehr passend. Daß die vor zwei Jahren bereits vollschlanke amerikanische Sängerin sichtlich noch zugenommen hat, ist ein ausgesprochenes Handicap für sie, und das Tonnen-Kleid im Vorspiel war eine schlechte Idee. Den Komponisten sang Elza VAN DER HEEVER, die vor etwa drei Jahren hier als fulminante Elettra in "Idomeneo" zu erleben war. Die sehr gut geführte Stimme ist aber sehr viel größer und dramatischer geworden und ist für diese Rolle bereits zu schwer (sie wird im Mai Leonore in "Trovatore" singen). Sie hat natürlich keinerlei Schwierigkeiten mit den Höhen ("Musik ist eine heilige Kunst..." war umwerfend), und die junge Südafrikanerin spielte sehr gut und überschwenglich.

Die Sensation des Abends war aber zweifellos die Zerbinetta der blutjungen Brenda RAE. Sie singt nicht nur absolut perfekt die äußerst schwierige Rolle, sie ist eine ausgezeichnete Schauspielerin und sieht auch bestens aus. Sie ließ ihre Koloraturen glockenrein perlen und besitzt einen prächtigen angenehmen lyrischen Sopran wie weiland Rita Streich. Man kann sie sich ohne weiters als Susanna oder Pamina (bereits in Frankfurt gesungen) vorstellen. Ein Namen, den man sich unbedingt merken soll! Alle drei Damen zeichneten sich durch hervorragend gute Diktion aus, obwohl keine von ihnen Deutsch als Muttersprache spricht.

Bei den Herren ist ebenfalls nur Gutes zu melden. Oliver ZWARG ist zwar ein etwas jungendlicher Musikmeister (die "30 Jahre älter" als der Komponist glaubt man ihm nicht recht), doch sein voller Baßbariton flößte selbst dem Haushofmeister Martin TURBA fast Respekt ein. Obwohl dieser ständig mit seinem iPhone spielte und ihn wie den letzten Roßknecht behandelte, wenn er auf die ihm herunterfallende Partitur den Fuß setzte. Turba machte aus der Rolle eine wirklich widerliche Figur, ein zynischer Ekel. Eine sehr schöne Leistung war der Bacchus von Arnold BEZUYEN, der der Rolle nicht das Klischee des eitlen Tenor gab und seinen Schlußauftritt - vom Regisseur szenisch total verpatzt - in schicker Freizeit-Jacke hervorragend sang. Ein wirklicher Strauss-Tenor, von Herodes über Kaiser bis Apollo - eine Rarität.

Olivier DUNAIT war ein etwas dünnstimmiger Tanzmeister, obwohl er ebenfalls gute Diktion hat und gut spielte. Die Komödianten-Truppe zog sich sehr gut aus der Affäre, von der schönen Stimme des Harlekin von Thomas DOLLÉ dominiert. Der junge Bariton ist uns schon mehrmals stimmlich sehr angenehm aufgefallen, sowie durch sein natürliches und diskretes Spiel. François PIOLINO als Scaramuccio war ganz richtig am Platz, ebenso wie der Brighella von Xin WANG und der Truffaldino von Andrey ZEMSKOV. Das Quartett zeichnete sich durch völlige Homogenität aus, denn keiner versuchte zu outrieren.

Das Nymphen-Trio war passend mit wohlklingenden Stimmen besetzt, Mélody LOULEDJIAN als Najade, Leslie DAVIES als Dryade und Eve CHRISTOPHE als Echo. Weshalb letztere den großen Teil ihres Auftritts mit Herumgehen verbrachte, wissen die Götter, ebenso weshalb die beiden ersten mehrmals mit Schutt begossen wurden - die Ärmsten.

Das Palais-Personal steuerten SOLISTEN DES CHORS DER OPER bei und machten das sehr gut: Pascal WINTZNER als Lakai, David ORTEGA als Perückenmacher und Olivier BEKRETAOUI als Offizier.

Begeisterter und langer Beifall des Premieren-Publikums für Sänger und Dirigenten - heftige Buhs für das Bühnenteam. wig.