"MADAME BUTTERFLY" - 2. Oktober 2011

Saisoneröffnung Grand Théâtre

Da es in "Madame Butterfly" nur eine wirkliche Hauptrolle gibt, steht und fällt jede Aufführung mit der Interpretin der Titelrolle und der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten. Die beiden Herren sind eigentlich nur Stolpersteine in Cio Cio Sans Schicksal, denn der Tenor ist eine angeberische Niete und der Bariton ein rechthaberischer Prediger. Puccinis ausnehmend gefühlvolle, überschwengliche Musik kann leicht zu Kitsch verleiten, wenn der Dirigent sich gehen läßt und nicht zügig den Zusammenhalt betreut.

Seit einer grandiosen Aufführung von "Butterfly" in Wien vor mehr als 50 Jahren unter Dimitri Mitropoulos, wohl einem der wenigen Dirigenten, der selbst Barbers "Adagio for Strings" zu einem packenden Werk machen konnte, bin ich etwas vorsichtig. Denn an diesem Abend wagte eine junge Sängerin, die vorher fast nur Hosenrollen gesungen hatte, den Sprung ins dramatische Fach und sollte eine der ganz großen Sängerinnen ihrer Zeit werden: Sena Jurinac - sie ist vor kurzem 90 Jahre geworden. Als Jurinac mit dem Kind auf der Schulter zu Beginn des 3. Akts auftrat, schluchzte das ganze Haus. Unvergeßlich! Deshalb habe ich diese Oper nicht sehr oft gesehen, um nicht enttäuscht zu werden - und war es fast immer, selbst bei Rundfunk-Gala-Übertragungen.

Deshalb immer die Befürchtung, ob die "Butterfly" ordentlich über die Bühne gehen würde. Diesmal wurde diese Ungewißheit rasch gedämpft, denn die Dirigentin Julia JONES zeigte gleich zu Beginn, daß sie nicht in eine kitschige Auffassung verfallen würde. Ein sehr straffes Dirigat und die Berücksichtigung aller Sänger während des Abends kamen der üppigen Partitur zu gute. Eine hervorragende Leistung der musikalischen Leiterin des Teatro San Carlos in Lissabon! Das ORCHESTRE NATIONAL BORDEAUX AQUITAINE folgte der Dirigentin mit grosser Präzision und hörbarer Freude und die 1. Pulte brillierten in ihren Soli. Der neue englische Chorchef Alexander MARTIN leitete die CHOReinlagen des 1. Akts sehr gut und hat offenbar seinen Platz in Bordeaux gefunden.

Wir sahen die 2. Besetzung, eben wegen der Titelheldin der Madame Butterfly, die mit Alketa CELA eine außergewöhnliche Interpretin fand. Die junge Albanerin hatte uns bereits mehrmals sehr positiv beeindruckt, und ihre wunderbare, gut tragende, bestens geführte Stimme zeigte auch in der Rolle der Cio Cio San ihre Ausdruckskraft und ihre gesangliche Intelligenz. Bereits ihr Auftritt (in einer Art großem Lampion) war sehr gelungen und ließ viel erwarten. Ihre große Szene "Un bel dì, vedremo" zeigte sie ihre ganze Dominanz dieser Rolle. Der Abschied "Con onor muore chi non può serbar vita con onore." war erschütternd in Intensität, ganz groß! Daß die attraktive Sängerin auch hervorragend spielt, war natürlich ein weiterer Vorteil dieser schönen Aufführung. Es ist verwunderlich, daß diese ausgezeichnet Sängerin nicht mehr und in großen Häusern zu hören ist. Namen merken!

Im Vergleich dazu kommen die Herren natürlich nicht ganz mit. Chad SHELTON spielte den Pinkerton als angeberischen, leichtsinnigen Ami-Kapitän - sehr "America for ever!" - und sang auch ordentlich, wenngleich seiner Stimme für diese Rolle die Leichtigkeit und Finesse fehlt. Der Texaner forciert oft und singt zu laut. Zu Beginn des Liebesduetts ("Bimba dagli occhi pieni di malìa") versuchte er sogar, piano zu singen! Dafür sang David GROUSSET den Sharpless sehr dezent und spielte nicht nur diplomatisch, sondern auch menschlich. Wenn er mit Zylinder auftritt, um Butterfly die schlechte Nachricht zu überbringen, erinnert er an einen Quäker.

Die Suzuki sang Qui Lin ZHANG und gab der Rolle mütterliche Liebe. In den Nebenrollen waren Christophe BERRY ein schmieriger Goro und Eric MARTIN-BONNET ein tobender Onkel Bonze. Claire LARCHER (Kate Pinkerton), Florian SEMPEY (Yamadori), David ORTEGA (Kommissar) und Giorgos PAPAEFSTRATIOU (Schreiber) waren rollendeckend. Sehr lieb Nathan MALAVAL als Butterflys Söhnchen Dolore auf dem Schaukelpferd.

Die Inszenierung von 2003 (Koproduktion mit der Opera de Marseille) war von Numa SADOUL, dezent "japanisch", ohne in einen kitschigen Orientalismus zu verfallen, auch kein Versuch Kabuki oder No-Theater wie in Wilsons Bastille Inszenierung!) machen zu wollen. Das Bühnenbild von Luc LONDIVEAU war einfach - links ein hölzernes Häuschen, mit Schiebewänden, geschmückt mit einen großen, hellblauen, gerahmten, exotischen Schmetterling und einer Flagge, als Zeichen ihrer Amerikanisierung, ein Laufsteg und das Meer im Hintergrund, davor ein kleines Hausboot für die Hochzeitsnacht. Weiters ein paar Versatzstücke: eine Lourdes-Madonna, zwei japanische Ahnen-Statuen, eine kleine amerikanische Freiheitsstatue, die Cio Cio San am Ende zerschlägt, sowie ein Schaukelpferd des Buben.

Die Kostüme von Katia DUFLOT waren ebenfalls dezent und diskret der Handlung entsprechend. Die Aufführung, sogar der etwas verschleierte Vollmond in der Liebes-Szene des 1. Akts, war sehr passend von Philippe MOMBELLET beleuchtet worden.

Ein sehr erfreulicher Abend, der mich mit "Butterfly" ausgesöhnt hat. wig.