"ANDRÉ CHÉNIER" - 23. Juli 2011

Bestimmen sonst die Gassenhauer der Opern- und Musicalliteratur das Geschehen auf der Seebühne in Bregenz, so hat man sich für die Doppelsaison 2011/12 für das weit unbekanntere Werk "André Chénier" von Umberto Giordano entschieden. Ein kleines Wagnis.

Die Geschehnisse um den Dichter André Chénier, der zwischen die Fronten der Französischen Revolution gerät, seine Liebe in der Adeligen Maddalena di Coigny findet und mit ihr in den Tod geht, haben allerdings alles, was die Seebühne braucht. Massenszenen in der Revolution, eine Liebesgeschichte, Intrigen und den gefangennehmenden Verismoklang von Giordanos Musik.

Regisseur Keith WARNER erweckt all das auf der Bühne von David FIELDING zu prallem Leben. Da sehen wir den toten Marat nicht in der Badewanne sondern im Bodensee, auf der einen Schulter ein aufgeschlagenens Buch, in der linken Hand, ganz wie auf dem Gemälde von Jacques-Louis David einen Brief, beides Bühnen auf denen das Geschehen spielt, wenn nicht Kopf und Oberkörper selbst, mit Treppen bestückt, den Hintergrund bilden. Da wird nichts ausgelassen; Tänzer seilen sich oben vom noch verhüllten Turban ab und tanzen auf dem Kopf, da blitzen die Augen des Marat, eine alte Frau deklamiert aus dem Mund, Stuntmen springen von der Schulter in den See oder werden als Opfer der Revolution im übergroßen Bilderrahmen als Verräter erhängt. Überblendete Bilder zeigen die Erinnerung der Personen, der Tod rudert als Bote zwischen den Szenen. Zwischendurch klappt das Gesicht gar nach oben weg und im Hirn des Marat wird ein Bücherstapel sichtbar, auf dem das Gericht tagt. Die Kostüme von Constance HOFFMAN ergänzen das Bild, ohne es überbieten zu wollen. Bregenz bietet immer viel fürs Auge, aber soviel war selten.

Trotzdem gelingt es Warner die Figuren immer so zu positionieren, daß sie präsent bleiben, wo es wichtig ist, und nur in der Menge untergehen, wo es zur Geschichte gehört. Besonders zu genießen scheint all das John LUNDGREN als Gérard, der vom Diener zum Revolutionsführer aufsteigt und zwischen Gut und Böse hin und her gerissen ist. Die Partie bietet vieles, und Lundgren nutzt es. Arnold RAWLS als Chénier muß da etwas zurückbleiben, auch wenn er und seine Maddalena Amanda ECHALAZ ein bewegendes Duett im Angesicht ihrer Hinrichtung singen. Die vierte große Partie, die Dienerin Bersi, ist bei Krysty SWANN in guten Händen, die sie leidenschaftlich und warmherzig zugleich zeigt.

Ulf SCHIRMER und die WIENER SYMPHONIKER geben der Dramatik der Musik viel Raum, mal zügig, mal lyrisch und die Bregenzer Tontechnik trägt den Klang perfekt ins Publikum.

Wenn es dann, wie an diesem Abend, auch noch einen orangeroten Sonnenuntergang und ein Feuerwerk in weiter Ferne gibt, meint man fast in einer Zeitschleife zu sein, zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert. KS