"AIDA" - 15. Mai 2010

Die erste einer Reihe unangenehmer Überraschungen des Abends war der Blick auf die Besetzungsliste: den Lieblingsbaß verpaßt, und der beste Tenor des Staatstheaters durch einen mir völlig Unbekannten ersetzt.

Weiter ging es beim abwegigen Bühnenbild (Peter SYKORA), bestehend aus ein paar Säulen, hinter denen man sich verstecken kann, und einem kubischen Stein mit leuchtenden und keinen Sinn ergebenden Hieroglyphen. Dieser stellte sich später als Ptah-Schrein heraus, so dass Radamès tatsächlich unter dem Tempel eingeschlossen werden kann…

Drittens die Kostüme (noch mal Sykora): Ich verstehe ja, daß man sich nicht im Detail an über altägyptische Modetrends informieren will, aber ein Blick auf die Landkarte hätte jedem klarmachen müssen, dass man dort weder ellbogenlange schwarze Handschuhe (die Priester), schwarze Kutten (das Volk) oder schwarze Ledermäntel (die äthiopische Armee) trug. Ja, man trug gerne Raubtierfelle, aber bestimmt keine Albinotiger (Amonasro). Davon abgesehen, wäre eine Entscheidung für eine Epoche schön gewesen: Die Priester treten in Gewändern auf, in denen sie eher an mittelalterliche Burgfräuleins erinnern; Radamès im weißen Mantel von der Jahrhundertwende; beide Frauen in engen, ärmellosen Kleidern, in einem Fall mit Schärpe; die Soldaten in Uniformen aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert; vier Trompeter mit Livreen aus dem Achtzehnten. Der Vogel wurde mit dem Kostüm des Pharaos abgeschossen: Roter Samtmantel, bestickt mit goldenen Ankh-Zeichen, Schulterpolster, doppelt so breit wie der Sänger und eine Krone in Form eines Obelisken! Ich habe um ein Haar losgelacht.

Viertens die Inszenierung (nach Michael HEINICKE): Wirklich schlimm war an sich nur der Triumphmarsch. Es ist sicherlich die berühmteste Szene der ganzen Oper und wird hier leider den abartigen Vorstellungen eines Regisseurs geopfert: Nach der Auszeichnung sämtlicher Kriegshelden mit Orden auf sehr europäische Art und Weise folgt eine Szene, die man kaum anders beschreiben kann als: Jeder Kriegsheld darf sich unter den weiblichen Kriegsgefangenen eine aussuchen und vor versammeltem Volk das machen, wofür man sich für gewöhnlich ein Gebüsch sucht…

Fünftens die Sänger: Carlos MORENO übertrifft die Erstbesetzung des Radamès noch um einiges an Bewegungsunfähigkeit, was wohl nicht unerheblich an seiner Leibesfülle liegt. Leider kann er das nicht mal durch sängerische Leistung wettmachen. Er hat eine seltsam nasale Art zu singen, als wäre er verschnupft und ein Vibrato, das man auf der Richterskala messen kann. Besonders schwach und unsicher kamen die hohen Töne.

John In EICHEN als Ramphis hat genau das umgekehrte Problem; seine Rolle schien zu tief für ihn. Davon abgesehen spielt er ähnlich unbeweglich und hebt nur die Hand, um jemanden mit seinem Amulett Der Goldenen Fliegenklatsche zu segnen.

Andreas DAUM als der Pharao lieferte weder sängerisch noch schauspielerisch eine irgendwie bemerkenswerte Leistung ab, und Sven EHRKEs Rolle als ein Bote war zu klein, um etwas über ihn sagen zu können.

Und schließlich Yamina MAAMAR als Aida. Vor allem am Anfang war sie ziemlich kraftlos; ihre Arie einfach nur langweilig; ihr Gesang ist unauffällig, ihr Spiel wenig überzeugend. Ab dem zweiten Akt wurde sie zwar immer besser, aber Begeisterungsstürme wird sie so nie auslösen.

Nun noch zu den wenigen freudigen Überraschungen:

Margaret Rose KOENN als die Priesterin durfte von sich behaupten im ersten Akt die Einzige zu sein, der es gelang das Theater auszufüllen, während die meisten anderen Sänger im Orchester untergingen.

Bastian EVERINK als Amonasro war sicherlich der beste Sänger auf der Bühne. Er spielte wirklich überzeugend und sang mit der Ausdruckskraft, die mir bei den meisten Sängern an diesem Abend so sehr fehlte.

Yanyu GUO als Amneris gelang es ab Akt zwei, die Aida völlig in Grund und Boden zu singen. Auch wenn sie den ersten Akt brauchte, um sich einzusingen, füllte sie danach mühelos das Theater, selbst mit den leisen, teilweise gegen den Boden gesungenen Tönen im vierten Akt. Auch schauspielerisch brachte sie eine Glanzleistung auf die Bühne. Von einer wirklich ekelhaft hochnäsigen Prinzessin im zweiten Akt zu einer bittenden Verzweifelten, deren Flehen Steine erweichen könnte, im Vierten.

Der CHOR und EXTRACHOR unter André WEISS war mal wieder eine Freude, besonders in der Gerichtsszene im vierten Akt, auch wenn diese eindrucksvoller gewesen wäre, hätte man nicht die Schatten des Chors an der Rückwand der Bühne gesehen. Zum ORCHESTER unter Lukas BEIKIRCHER gibt es wenig zu sagen.

Eine Kritik geht noch an Rüdiger SCHILLIG (Übertitel): Es wäre doch hilfreich zu wissen, dass mit dem italienischen Wort "larva" meistens Gespenster gemeint sind…

Zusammenfassend würde ich dem Staatstheater von weiteren Kooperationen mit den Theatern Chemnitz abraten, vor allem wenn das bedeutet, daß lächerliche Inszenierungen ohne einen weiteren Gedanken übernommen werden. NG