"FIDELIO" - 25. September 2010 (Premiere)

"Das Schlimmste kommt zum Schluß" las ich am Tag danach in unserem Lokalkäseblatt. Und kann nur zustimmen, auch wenn es der Herr Journalist sicherlich anders gemeint hat. Denn die letzten fünfzehn Minuten können einer vorher größtenteils sehr schönen Oper einen unangenehmen Nachgeschmack verleihen.

John DEWs Inszenierung bleibt erst lange relativ klassisch (abgesehen von dem seltsamen Kontrast von 18. Jahrhundert-Mode und elektrischen Schreibtischlampen), und spart sich das, was der Herr Intendant wohl für eine tolle Idee hielt, für die letzte Szene auf.

Das Bühnenbild (Heinz BALTHES) ist größtenteils eher minimalistisch - der erste Akt zeigt eine Art Büro, daß in "Welch ein Augenblick" durch eine riesige Bücherwand erweitert wird. Der Chor tritt in passenden Kostümen (Juan Manuel VÁZQUEZ) auf - wir befinden uns also in einem Gefängnis mit einem einzigen Wärter, aber einem Dutzend Sekretären. Der "Festungsgarten" ist dann die leere Bühne mit einer Art Treppe, unter der die Gefangenen herauskommen. Der unterirdische Kerker im zweiten Akt wird nur durch eine lange Treppe angezeigt, die etwas tiefer als die Vorderbühne endet, so daß Rocco und Fidelio im Verborgenen hinter dieser Stufe arbeiten. Auf dieser Vorderbühne ist Florestan angekettet. Leider hatte Pizarro wohl wirklich Angst, daß ihm sein Gefangener entkommen könnte, denn die vier Ketten sorgen für deutlich mehr Lärm als ich für vertretbar halte.

Die Darstellung des Finales paßt mir dann aber gar nicht mehr. Nicht nur, daß der Chor als höflich applaudierende Hofschranzen auftrat, auch die Darstellung des Don Fernando war meiner Meinung nach unpassend. Überheblich und uninteressiert las er seinen Text ab, als wäre er nur der Überbringer. Weiterhin werden im Schlußchor die Gefangenen in ihren unterirdischen Zellen gezeigt. So scheint es, als habe Fernando nur seinen Freund Florestan befreien lassen und sonst eigentlich wenig Interesse an den übrigen "Opfern willkürlicher Gewalt" zu haben. Sicherlich wollte John Dew damit eine wichtige Botschaft vermitteln, aber das auf eine ziemlich platte Art. Außerdem verwehrt es mir das euphorische Gefühl, mit dem ich sonst eine Fidelio-Aufführung verlasse.

Ein einziges Ärgernis war auch das ORCHESTER unter Constantin TRINKS. Der Beginn der Ouvertüre und des zweiten Akts waren die einzigen Instrumentalstücke, die gut wirkten, unter anderem weil auffällig langsam gespielt. In folgenden Stücken schien es dann so, als wolle Trinks die dabei gebrauchte Zeit wieder aufholen und erschlug Chor und Orchester mit viel zu schnellen Tempi. Die meisten Gesangsszenen blieben davon glücklicherweise verschont, aber die dritte Leonoren-Ouvertüre war eine einzige Soße, und im Finale schien es stellenweise als würde jeder Sänger und jeder Instrumentalist sein eigenes Tempo spielen, so unsauber und falsch kamen viele der Einsätze.

Glücklicherweise hatten die Sänger wesentlich mehr zu bieten: Margaret Rose KOENN spielte mit aller Hingabe ein über beide Ohren verliebtes junges Mädchen und konnte das auch musikalisch gut rüberbringen. Etwas schade finde ich es, daß es ihr nicht gelang, der Rolle auch nur das kleinste Bißchen mehr Tiefe zu geben. Ihr Gesang war jedoch tadellos.

David PICHLMAIERs Don Fernando hatte schon fast etwas Lächerliches. Sicherlich ist dieser Fernando nicht aufgrund seiner Fähigkeiten Minister geworden. Leider hielten sich heute auch die Fähigkeiten des Sängers in Grenzen, der auffällig unauffällig und viel zu leise sang.

Sven EHRKE sang einen überraschend guten Jaquino. Er spielte einfach und ohne Übertreibung und sang seine Rolle sehr solide.

Eine Freude war Werner Volker MEYER als zweiter Gefangener, der besonders im direkten Vergleich zu Lasse PENTTINENs etwas leisem und undeutlichem Solo brillierte.

Geteilt ist meine Meinung über Bastiaan EVERINK. Sein Pizarro war im ersten Akt noch ganz gut, auch weil ich seine etwas rauhe Stimme als sehr passend für die Rolle empfinde. Im zweiten Akt jedoch erstarrte er auf der Bühne zur Salzsäule. Seine ab dann auch undeutlichere Aussprache, schwacher Gesang und sein häufiges Schielen auf den Dirigenten legen die Vermutung nahe, dass er einfach weder Text noch Musik sicher beherrschte.

Auch der CHOR (André WEISS) brachte keine einheitliche Leistung auf die Bühne. Der Männerchor lieferte eine gute Untermalung für Pizarros Arie und nach "Oh, welche Lust" hätte ich eine ganze Packung Taschentücher benötigt. Umso enttäuschender war das Finale, das von Unsauberkeit und Fehlern nur so wimmelte. Ich würde die Schuld dafür jedoch auf den erwähnten Dirigenten schieben…

Hans-Georg PRIESEs Florestan zeigte sich uns erst als ein Häuflein Mensch, so auf der halbdunklen Bühne plaziert, dass nicht zu erkennen war, wo denn hier vorne und hinten war. Bis er dann mit einem Crescendo begann, das allein schon beeindruckend war. Auch der Rest der Arie klang herzzerreißend. Leider baute er danach ein wenig ab; die folgenden Stücke sang er leiser und ein wenig schwach, passend zur Rolle zwar, aber nicht gerade eine gute sängerische Leistung.

Katrin GERSTENBERGER (Leonore) brachte eine beeindruckende Stimme auf die Bühne. Die dramatischen Passagen waren besonders gut, für die lyrischeren klingt Gerstenbergers Stimme einfach etwas zu hart. Sie steht stellenweise sehr steif auf der Bühne und scheint nicht multitaskingfähig zu sein - entweder singen oder sich bewegen. Ganz unpassend war es nicht; man merkte ihrem Fidelio an, daß ihm/ihr etwas auf der Seele lag. Ihr Jubilieren in "Oh, namenlose Freude" kam dann aber ganz von Herzen und lud zum Mitfreuen ein.

Die größte Freude des Abends war aber sicherlich Thomas MEHNERT als Rocco. Sein auffällig tiefer und sonorer Bass begeistert mich ja schon länger und gab mir auch diesmal wieder Anlaß zur Freude. Das Grabduett war eines der eindrucksvollsten Stücke des Abends. Weiterhin gelang es ihm als Einzigem, sich in beiden Finalen gegen Chor und Orchester durchzusetzen. Vielleicht eher Schuld des Regisseurs ist die etwas seltsame Darstellung der Rolle. Mehnert ist sicher einer der jüngsten Sänger auf der Bühne, und es hatte wohl keiner Lust, ihn in die Maske zu schicken. Es wirkte einfach nur lächerlich, wenn die teilweise bestimmt zwanzig Jahre älteren Personen Rocco als "alten Mann" bezeichnen… Dazu kommt, dass Mehnert auf der Bühne herumwuselte, als müsse er die Unbeweglichkeit der übrigen Personen ausgleichen. Erfreulich dagegen wieder seine auffällige Mimik, die mehrmals fast in Lachanfällen endete - beispielsweise wie er mit dem Gesicht eines Kindes an Weihnachten den Beutel Gold entgegennahm oder Leonore bei ihrem "Oh, welch ein Glück" ansah, als käme sie mindestens vom Mars.

Verdienter enthusiastischer Applaus des Premierenpublikums für die Sänger; überraschender Applaus für Dirigent und Orchester, die es schließlich geschafft hatten, uns eine Klangsoße zu präsentieren, deren Bestandteile nicht mehr identifizierbar waren. NG