"BILLY BUDD" - 25. März 2011 (Premiere)

Vor wenigen Monaten war Benjamin Britten für mich noch einer der Komponisten, deren Namen man mal gehört hat - auf Empfehlung habe ich mir dann eine "Billy Budd"-Aufnahme besorgt und jetzt auch noch das Glück gehabt, beim ersten Live-Besuch gleich auf eine auf jeden Fall empfehlenswerte Aufführung zu stoßen. Zwar bewegte sich die Inszenierung (Immo KARAMAN) größtenteils irgendwo zwischen seltsam und langweilig, dafür war die Musik (Musikalische Leitung: Peter HIRSCH) fast ausschließlich sehr erfreulich.

Für einen Hobby-Segler war es natürlich erst einmal schade zu sehen, daß der Großsegler "Indomitable" durch ein modernes Kriegsschiff oder sogar ein U-Boot ersetzt wurde. Das Bühnenbild (Nicola REICHERT) besteht aus Stahlwänden, die, je nach Szene von den Matrosen in Position geschoben werden, um wahlweise die Brücke, die Mannschaftsquartiere etc. darzustellen. Der Umbau bei offenem Vorhang funktioniert hier sogar - jedoch fällt es mir schwer einzusehen, warum an einigen Stellen Umbau nötig ist und an anderen nicht. Die Wände kommen nach Billys Ankunft bis zur Szene in Captain Veres Kajüte nicht zum Stehen. Und die gewisse Unruhe für die das Hin- und Herschieben (Choreographie und "Raumbewegung": Fabian POSCA) hoher Wände sorgt, ist stellenweise (z.B. in "Come along, kid") einfach unpassend. Ein gegenteiliges Beispiel wäre die Vorbereitung zur Seeschlacht - hier wäre ein geschäftiges Hin und Her wesentlich passender gewesen. Stattdessen werden an jeden der in Reih und Glied stehenden Matrosen Bomben ausgeteilt; mit dem gesungenen Text hat die Handlung auf der Bühne gar nichts mehr zu tun.

Dies ist überhaupt ein häufigeres Problem, daß sich vor allem durch die gesamte erste Szene an Bord der "Indomitable" zieht - laut Text werden hier ein Deck geschrubbt, Segel eingestellt etc. Auf der Bühne jedoch steht die gesamte Mannschaft, inklusive der Offiziere, in Unterwäsche und bekommt gerade erst Uniformen ausgeteilt. Veres Gespräch mit den Offizieren findet auf der Brücke statt, und obwohl ich ja voller Lob dafür bin, daß keiner von ihnen während der Dienstzeit trinkt, steht der Wein doch nun mal im Libretto…

Der seltsamste Punkt in der Aufführung dürfte jedoch die neue Figur der "Krankenschwester" (Victoria WOHLLEBER) sein. Diese tritt zuerst im Prolog auf und scheint sich dort um den alternden Vere zu kümmern. Es wird schnell klar, daß sie noch ein anderes Interesse an ihm hat, was er jedoch zurückweist. Seltsam wird es allerdings, als sie während der Schlacht auftritt, und das dann auch noch in einem hinten offenen Kleid. Auch verstehe ich den Sinn dieser Figur nicht. Soll sie uns noch mal mit der Nase darauf stoßen, daß Vere kein Interesse an Frauen hat? Das haben wir sicherlich alle schon vorher begriffen. Oder brauchte man nur eine Quotenfrau in der Aufführung?

Bei allen diesen negativen Punkten, will ich jedoch eine Sache, die mir sehr positiv aufgefallen ist, nicht auslassen: Obwohl Programmheft und Inhaltsangabe immer wieder gerne betonen, daß eine "willkürlich brutale Ordnung" herrscht, ist die Darstellung von Gewalt eher vorsichtig. Ich erwähne das deshalb, weil ich eigentlich eher das Gefühl habe, daß die Tendenz meist die Gegenteilige ist, und Gewalt auf der Bühne deutlich (und gerne) dargestellt wird, wo eine Oper die Gelegenheit dazu bietet. Nun ja, das ist sicher nicht nur in Opern so. Es hat mich daher angenehm überrascht, daß in einer Oper, die ja sogar mehrere Gelegenheiten enthält, die Gewaltdarstellung eher ausblieb und dafür ein ausdrückliches Lob für das Gegen-den-Stromschwimmen.

So wenig mich die Inszenierung irgendwie packen konnte, so gelang das der Musik doch wesentlich besser.

Die DÜSSELDORFER SYMPHONIKER lieferten eine sehr saubere Untermalung des Ganzen, und der Dirigent scheute sich nicht, stellenweise sehr deutliche Akzente zu setzen. Einzelne Instrumente dürfen an ihren solistischen Stellen brillieren, und der Gesamtklang des Orchesters war glasklar.

Leider war im Gegensatz dazu die Leistung des CHORs recht zweigeteilt: Im ersten Akt war es ein Genuß, ihm zuzuhören; besonders der Shanty war eine Freude. Doch der zweite Akt… Die Vorbereitung der Seeschlacht war besonders enttäuschend. Stellenweise klingt der Gesang völlig kraftlos bis uninteressiert, geht schon fast im Orchester unter und von der freudigen Erwartung ist in der ganzen Szene fast nichts zu merken, außer beim erwähnten Orchester. Die Hinrichtungsszene war danach deutlich besser, aber der Chor fiel dabei ein wenig auseinander, und einzelne Stimmen sollten aus einem Chor eigentlich nicht herauszuhören sein.

Mehr Schuld der musikalischen Leitung dürfte der nächste Punkt sein: Daß man keinen Knabenchor hat, ist eine Sache. Daß man diesen dann durch Solisten des erwachsenen Chors ersetzt, ist auch in Ordnung. Aber wenn man erwachsene Sänger in derselben Oktave singen läßt wie sonst einen Knabensopran, ist eine Garantie für Ohrenschmerzen.

Doch zu den Solisten:

Unter den kleinen Rollen fällt vor allem Daniel DJAMBAZIAN als der Bootsmann auf. Er nennt eine ausgesprochen kraftvolle Stimme sein Eigen. Am Besten gefiel er mir in der allerersten Szene, als er dem Neuling drohte - mit einer so vor Gemeinheit triefenden Stimme, daß man selbst als Zuschauer fast Angst bekommen konnte.

Dmirti VARGIN (1. Maat), Rolf BROMAN (2. Maat), Dmitry TRUNOV (Ausguck), Laimonas PAUTIENIUS (Der Freund des Neulings) und Dmitry LAVROV (Arthur Jones) lieferten gute, aber, wohl wegen der eher kleinen Rollen, unauffällige Leistungen ab.

Bei Squeak ist zumindest eindeutig, woher der ungeliebte Schiffskorporal seinen (Spitz-?) Namen hat, denn Florian SIMSON hat in der Tat eine leicht quietschige Stimme - und das meine ich gar nicht so negativ, wie es klingt. Zwar kann man den Klang seiner Stimme vielleicht nicht als angenehm bezeichnen, aber es ist ein Teil einer ausgesprochen guten Charakterisierung.

Erfreulich war auch Bruce RANKINs Red Whiskers, besonders während seines ersten Auftritts. Zwar wirkte er an zwei Stellen abgelenkt, als sei er mit den Gedanken woanders, dann aber wieder steigerte er sich mit einer unglaublichen Energie in Gesang und Spiel hinein.

James BOBBYs Donald war zwar nicht schlecht, aber unter allen Aspekten ziemlich unauffällig. Im Quartett im ersten Akt geht seine Stimme fast vollständig unter. Ebenso wenig ist mir Carlos KRAUSEs Dansker in Erinnerung geblieben. Auch ihn kann man unter keinen Umständen als schlecht bezeichnen - nur auch nicht gerade unvergeßlich gut.

Corby WELCH gelang vor allem eine ziemlich Mitleid erregende Darstellung des Neulings. "Come along, kid" reichte für Tränen, auch wenn die Szene schauspielerisch eher seltsam war. Leider gab es später, im Dialog mit Claggart, einige Stellen, an denen es sich anhörte, als sei seine Stimme kurz davor sich zu überschlagen

. Von den drei Offizieren lieferte Ashley HOLLAND als Mr. Flint die schwächste Leistung ab. An den wenigen Stellen, an denen er eindeutig zu identifizieren ist, brummt er eher, als daß er singt; über das Orchester ist er stellenweise kaum zu hören.

Die beiden anderen Offiziere, Mr. Redburn (Markus MARQUARDT) und Mr. Ratcliffe (Timo RIIHONEN) sind wegen der gleichen Stimmlage bereits schwerer auseinander zuhalten. Musikalisch haben sie mir beide gefallen, schauspielerisch fielen alle drei Offiziere in die Kategorie "Legofigur" - Stehen und sitzen können sie. Riihonen fällt allerdings noch wegen des ausgesprochen angenehmen Klangs seiner Stimme auf. Wenn er die Stimme für Telefonwarteschleifen liefern würde, könnte man auf die Idee kommen, nur deswegen die entsprechende Nummer zu wählen…

Edward Fairfax Vere, gespielt von dem Mann mit dem passenden Namen Raymond VERY, besticht durch eine sehr kraftvolle und emotionsgeladene Art zu singen, auch wenn ich seiner Stimme nicht allzu viel abgewinnen kann. Als schrill kann man sie noch lange nicht bezeichnen, aber es geht ein klein wenig in diese Richtung. Auch seine Charakterisierung der Rolle gefiel mir weniger (auch wenn das wohl eher dem Regisseur zuzuschreiben ist). Sein Interesse an Billy scheint ausschließlich sexueller Art zu sein (anzunehmen, wenn er auf den Stuhl zu kriecht, auf dem Billy saß - und diesen umarmt und daran zu schnüffeln scheint…) und den flehenden Billy ignoriert er kurz vorher völlig. Näher an Melvilles Vorlage und doch unpassend.

Lauri VASAR scheint mir eine ausgesprochen passende Besetzung für Billy Budd - er sieht recht jung aus, und auch die Darstellung des naiven Matrosen gelang ihm sehr gut. Seine Stimme klingt glasklar, und er singt mit einer Wärme, welche die Figur sofort sympathisch macht. Eine einzige kleine Kritik habe ich - stellenweise nuschelt er etwas und eine deutlichere Aussprache wäre vorteilhaft.

Mein persönlicher Favorit des Abends war jedoch eindeutig Sami LUTTINEN als John Claggart. Er hat eine beeindruckende Stimme, die den ihn meist begleitenden Baßinstrumenten auch bei den tiefsten Tönen mühelos Konkurrenz macht. Gleichzeitig spielt er den gnadenlosen Schiffsprofos von vorne bis hinten überzeugend und läßt diese Maske nur während seiner "Arie" "Oh Beauty, oh handsomeness, goodness" fallen; ein Stück, in dem für ihn wohl die Zeile "And the darkness comprehends it and suffers" am Wichtigsten war. Diesem Claggart nehme ich es wirklich ab, daß er unter Billys Gutherzigkeit, die ihm die eigene Bösartigkeit vor Augen führt, tatsächlich leidet. Ohne weitere Hintergedanken. Außerdem hat auch Luttinen, was ich bei der Rolle nicht für möglich hielt, meinen Taschentuchkonsum weiter erhöht.

Man kann "Billy Budd" sicherlich einfallsreicher inszenieren, aber letztendlich ist mir diese unauffällige Inszenierung immer noch deutlich lieber als eine erzwungen moderne oder anderweitig verrückte Inszenierung. Und von musikalischer Seite war der Abend (größtenteils) ein Genuß. Um es Zeitungsüberschrift-ähnlich zusammenzufassen: Auf jeden Fall empfehlenswert. NG