Es gibt viele, mehr oder weniger legitime Wege sich künstlerisch dem Thema Holocaust zu nähern. So kann man z. B. die Geschichte einer fiktiven Person erzählen. Peter RUZICKA und Peter MUSSBACH sind in ihrem Musiktheaterwerk den umgekehrten Weg gegangen. Sie haben eine reale Person genommen und fiktive Geschichten mit realem Hintergrund erzählt. Die Person ist in diesem Fall Paul Celan, der jüdische Dichter, der den Holocaust überlebte, um schließlich doch an ihm zu zerbrechen. 1970 beging er Selbstmord.

Peter Ruzicka, der Celan kurz vor dessen Tod noch persönlich begegnete, hat die Person Celans und dessen Dichtung seit 30 Jahren immer wieder beschäftigt. Zunächst vertonte er einzelne Gedichte, stellte aber fest, daß die Sprache mit ihrer eigenen Musikalität durch die Vertonung nicht bereichert werden kann. So entstand die Idee seines ersten Musiktheaterwerkes, das kein Wort oder gar Gedicht Celans enthalten, aber auch keine erzählte Biographie werden sollte.

Das Resultat wurde nun in Dresden uraufgeführt. Der Untertitel Musiktheater in sieben Entwürfen gibt Aufschluß über den Aufbau des Werkes. Ruzicka und Mussbach stellen jeweils kurze reale Begebenheiten in den Raum und entwickeln dann daraus Möglichkeiten des weiteren Verlaufs. So entstehen kurze Szenen, die die Gebrochenheit des Menschen Celan deutlich werden lassen. Hier ist einer, der gehetzt, getrieben und verfolgt wird von der Umwelt, aber auch von den eigenen Dämonen. Es gibt für diesen Menschen kein Entkommen vor der Geschichte und sich selbst. Die kurzatmige, oft ebenfalls gehetzte Musik Ruzickas macht diese Spannungen sehr deutlich. Sei es nun in einer Szene in der Pariser U-Bahn, wo sich Celan von harmlosen Passanten bedroht fühlt oder seien es die Anfeindungen der Plagiatsvorwürfe durch Claire Goll. Selbst seine Freundschaften und Liebesbeziehungen sind nicht frei von diesem Druck.

Celan ist konsequenterweise als zwei Personen auf der Bühne zu sehen. Der junge Celan, dargestellt von Urban MALMBERG, und der ältere, ein auf frappierende äußere Ähnlichkeit mit Celan geschminkter Andreas SCHMIDT. Mit diesem Kunstgriff kann Celan sich selbst begegnen, Zwiesprache mit sich selbst halten. Beide Sänger, wie auch die anderen Darsteller, genannt seien Rolf TOMASZEWSKI, Sabine BROHM und Annette JAHNS, bewältigen ihre schwierigen Aufgaben phantastisch.

Da, wo Worte und Handlung fehlen oder nicht eins zu eins darzustellen sind, zeigen der Regisseur Claus GUTH und sein Bühnenbildner Christian SCHMIDT Filmsequenzen. Diese schaffen eine weitere Dimension, oder bringen den historischen Kontext ein, wie z. B. ein Film, in dem Deutsche bei Kriegende Buchenwald besichtigen müssen. Die Kern- und Mittelszene ist vielleicht der beeindruckendste Moment der Oper. Der Chor singt in dieser fast zwanzigminütigen Szene zunächst Vocalisen, die sich zum Wort Jerusalem verdichten, um dann wieder im Klang zu verschwinden. Die sparsame aber eindrückliche Bewegungschoreographie auf leerer Bühne schafft eine ganz eigene Stimmung. Eine große Leistung des Chores. Marc ALBRECHT führt hier, wie insgesamt, den Chor und die sächsische Staatskapelle sicher durch die vielschichtige Musik. Bei allen orchestralen Ausbrüchen gelingt trotzdem überall eine große Textverständlichkeit, da die Musik sich auch immer wieder zurücknimmt.

Bei so vielen oft simultanen Eindrücken, fällt es manchmal schwer, das Geschehen genau zu verfolgen. Komponist und Autor fordern allerdings weniger einen rationalen als einen emotionalen Zugang, wobei sowohl die Musik, in ihren Klangmassen, als auch der gebrochen stilisierte Text sich beim ersten Hören nur schwer emotional erschließen. Kerstin Schröder