„FALSTAFF“ - 13. September 2003

In dieser Produktion von Ulrich ENGELMANN scheint Falstaff der Obdachtlosigkeit anheimgefallen zu sein. Die Idee ist nicht neu, krankte dafür jedoch schon immer daran, daß auf der Straße lebende Personen leider höchst selten nur nach einem Wirt zu rufen müssen, der ihnen dann das Gewünschte bringt. Es gibt einige hübsche Einfälle (Fords Fontana-Verkleidung sieht arg zusammengesucht aus, in Anbetracht der Eile durchaus nachvollziehbar, Falstaff zweckentfremdet den Lenker eines Fahrrades inklusiv Vorderlicht als Hörner für seinen Auftritt als Schwarzer Jäger), aber im Ganzen entwickelt sich sonderlich viel Esprit. Auf der fast leeren Bühnen (Hartmut SCHÖRGHOFER) bieten sich nicht allzu viele Möglichkeiten für die Figuren, sich zu verstecken oder unbemerkt heranzukommen. Die Kostüme von Christine STROMBERG sind irgendwo nahe der Entstehungszeit der Oper angesiedelt, wobei die Mäntel der Damen im zweiten Bild schon arg trutschig wirken.

Dann jedoch, im letzten Bild, passiert ein kleines Wunder. Mittels phantasievoller Kostüme und vor allem einem simplen Tuch wird ein Zauberwald auf die Bühne gebracht, der alles hat, was der Inszenierung zuvor fehlte: überraschende Lösungen, clevere Kleinigkeiten, sinnvolle Personenführung.

Die musikalische Seite stellte sich ohne Ausfall, aber zum Teil auch ohne großen Glanz dar. Es fehlte einfach das entscheidende Quentchen Spielfreude, möglicherweise auch die Hand eines Regisseurs bei vielen Sängern. Tom MARTINSEN (Bardolf), Markus MARQUARDT (Pistol) und Oliver RINGELHAHN (Dr. Cajus) sangen gut, spielten auch angemessen, schöpften aber nicht die Komik ihrer Rollen voll aus.

Rossella RAGATZU (Alice) nahm man von der Darstellung her nicht unbedingt die Rädelsführerin der Intrige ab, dafür entschädigte sie mit einem leuchtendem Sopran, der die Ensembles problemlos überstrahlte. Christa MAYER war eine sehr dezente, relativ hellstimmige Quickly, sowohl stimmlich, als auch von der Darstellung her hätte man sich hier eine saftigere Interpretation vorstellen können. Ursula HESSE VON DEN STEINEN (Meg) konnte mit der dunkleren Stimme aufwarten, aber auch sie blieb darstellerisch unauffällig.

Eva KIRCHNER litt als Nannetta bei ihrem Feenlied darunter, daß sie zu Beginn aus dem Off singen mußte. Dort klang die auf der Bühne frische Stimme spitz und säuerlich. Als sie zum zweiten Teil dann auf der Bühne erscheinen durfte, war dieser negative Eindruck wieder verschwunden.

Eine interessante Entdeckung war der Fenton von Woo-Kyung KIM. Er ließ einen schön und individuell timbrierten Tenor hören, der die sehr lyrische Partie schon fast sprengte. Man sollte diesen Sänger im Auge behalten.

Vor fast genau sechs Jahren nannte ich den Falstaff von Alan TITUS und den Ford von Lucio GALLO schon einmal ein Dream-Team. An diesem Eindruck hat sich seitdem nichts geändert, obwohl beide Sänger inzwischen schwereres Fach singen. Da stimmt jede kleine Geste, jede Betonung, da wird spontan reagiert, jede Nuance wird ausgekostet. Ihre gemeinsame Szene war sicher der Höhepunkt des Abends. Daß sie beide dabei auch noch prachtvoll singen, versteht sich fast von selbst. Gallo ließ in „E sogno“ die Eifersucht toben. Titus ist gerade in seiner Selbstverliebtheit wundervoll anzusehen und -zuhören, und es ist nicht vorstellbar, daß es derzeit einen Falstaff gibt, der nach seinem Bad in der Themse noch überzeugender granteln kann.

Daniele GATTI am Pult dirigierte einen flotten Verdi; auf wessen Konto der Beinaheschmiß im Damenensemble des zweiten Bildes ging, war schwer festzustellen. Insbesondere nach der Pause fand der Dirigent zu schönen subtilen Farben, während er zu Beginn doch ein wenig zu sehr auf Lautstärke setzte. Bis auf minimale Unsauberkeiten nach der Pause war das Spiel der SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN tadellos, und auch der CHOR entledigte sich seiner Aufgabe ohne Probleme.

Der Großteil des Publikums bestand aus offenbar opernunkundigen Touristen, die sich während der Vorstellung lautstark unterhielten, was das Vergnügen meines ersten Semperopernbesuches schon erheblich beeinträchtigte. MK