„CARMEN“ - 8. Juni 2005

Die gute Nachricht ist, daß auch die absurdeste Regie einer Oper wie Bizets „Carmen“ herzlich wenig anhaben kann. Allerdings ist das ebensowenig eine neue Erkenntnis wie die Tatsache, daß sängerische Qualität sich stets über inszenatorische Stümperei hinwegsetzt, und so der Abend zumeist trotzdem ein gelungener wird.

Wie gesagt, altbekannte Tatsachen, und wir wären dankbar gewesen, nicht schon wieder daran erinnert werden zu müssen.

Das, was Konstanze LAUTERBACH (Inszenierung) da auf die Bühne der Semperoper stellte, entstammte wohl dem Handbuch „Moderne Opernregie für Dummies“, wobei darin allerdings die Kapitel „Chorregie“ und „Personenführung“ gänzlich zu fehlen schienen. Weshalb man eine chorlastige Oper inszeniert, dabei den Chor auch selbstredend in den Mittelpunkt zu stellen versucht, obwohl man mit den Mitgliedern dieses Klangensembles nichts anzufangen weiß, war nur eine der offenen Fragen des Abends. Das Fehlen einer eindeutigen Personenregie führte zum bekannten Jeder-macht-was-er-kann-Phänomen. Es sollte eine „Carmen“-Deutung fern von jeglichem Lokalkolorit bzw. mit stark verzeichneter Deutung eines solchen werden, herausgekommen ist nur Langeweile.

Völlig absurd war das Auslegen des Bühnenbodens mit Straßenpflastersteinen (Bühnenbild: Peter SCHUBERT), was der Akustik sehr abträglich war. Der angedeutete Regen inkl. lautem Geplätschers (nervig!) im 3. Akt sei nur am Rande erwähnt.

Die Gründe, weswegen man eine Mischung aus Rezitativ- und Dialog-Fassung meinte, spielen zu müssen, die vor allem irritierend war, erschloß sich auch bei genauerer Lektüre des Programmheftes nicht. Es gibt gute Gründe für die Dialog-Fassung, weniger gute Gründe für die Rezitativ-Fassung – und keine, die beiden zu mischen.

Hadar HALÉVY (Carmen) gab mit dieser Partie ihr Dresden-Debüt. Leider fehlt es ihr an Präsenz und bedauerlicherweise auch an den notwendigen stimmlichen Mitteln. Insgesamt ist ihre Stimme zu wenig flexibel und besitzt besonders in der Mittel- und den unteren Lagen ein unschönes Tremolo. Von der aggressiven erotischen Ausstrahlung, die Carmen zu eigen ist, war sie stimmlich und darstellerisch meilenweit entfernt.

Von ganz anderem Kaliber war da Michaela KAUNE als Micaela. Hätte das Libretto eine direkte Auseinandersetzung beider Figuren gestattet, wäre Micaela an diesem Abend als haushohe Siegerin vom Platz gegangen. So bekam allein Don José die Autorität dieser selbstbewußten, jungen Frau zu spüren. Michaela Kaunes Sopran hat seit dem letzten Hören weiter an Umfang und Variationsreichtum zugelegt. Trotzdem wirkt die Stimme niemals zu groß oder zu mächtig für die Rolle, da die Künstlerin die ihr nun zur Verfügung stehenden Ressourcen geschickt zur Interpretation einsetzt.

Zur intensiven Persönlichkeit dieser Micaela paßte, daß Don José von Robert Dean SMITH eigentlich bar jeglichen Machismo war. Eine keineswegs störende Sichtweise, da sich dieses Rollenporträt als insgesamt gut durchdacht zeigte. Robert Dean Smith bewies, wie unklug es wäre, ihn einfach in die Kann-gut-Wagner-Schublade zu stecken, und katapultierte sich mit seiner exzellenten Leistung in unsere Top 5 der Don Josés. Vielleicht ist ihm das Duett mit Micaela eine Spur zu lyrisch, aber er schlug sich gut, um dann zu großer Form aufzulaufen. Die Blumenarie war ergreifend als Akt der vollständigen Selbstaufgabe gesungen und mit einem mühelosen Spitzenton gekrönt, der sich ganz natürlich aus der Phrase entwickelte. Es wäre ihm zu wünschen gewesen, hier eine Partnerin zu haben, von der von seiner Leidenschaft in Stimme und Spiel wenigstens etwas zurückgekommen wäre.

Jacques-Greg BELOBO (Escamillo) verausgabte sich leider im ersten Teil seines Auftrittsliedes, wodurch der zweite Teil etwas schwächer geriet. Dafür allerdings, daß er dabei z.T. auf einer Schaukel (!) sitzen mußte, klang es dann aber doch passabel. Insgesamt ist er ein Ausbund an musikalischer und schauspielerischer Beweglichkeit. Entwicklungsfähig dürfte dieser Künstler allemal sein.

Etwas überraschend (ja, man sollte die Besetzungsliste im Internet sorgfältiger lesen...) brachte der Abend ein Wiederhören mit Jochen KUPFER. Ein Szenendieb wie er hat es natürlich leicht, wenn die Präsenz um ihn herum eher gering ist. Sein Moralès behauptete sich aber aufgrund der sehr guten stimmlichen Leistung auch neben den „Leistungsträgern“ des Abends.

Die verbleibende Besetzung fiel in der Qualität z.T. sehr ab. Georg ZEPPENFELD (Zuniga) und Oliver RINGELHAHN (Remendado) zeigten zumindest in der Darstellung Potential. Stimmlich gab es leider das eine oder andere Defizit. Roxana INCONTRERA (Frasquita) und Anke VONDUNG (Mercedes) erfüllten das übliche Klischee – beide, während Tom MARTINSEN (Dancairo) hoffentlich nur einen sehr schlechten Abend hatte.

Jacques DELACÔTE wäre ein idealer Dirigent für einen Katastrophenabend. Da die Katastrophe glücklicherweise ausblieb, konnte man in aller Ruhe seine Bizet-Interpretation genießen sowie hin und wieder interessiert beobachten, wie er den aus den Fugen geratenen Chor musikalisch wieder „einfing“ oder Quintettpartner zurück auf den gemeinsamen Weg brachte. Wunderbar ausmusiziert war das Vorspiel zum 3. Akt, was leider seitens der Regie sinnlos bebildert worden war und von der Musik abzulenken drohte.

Die SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN hätte seiner inspirierten Leitung durchaus noch mehr folgen können, und die Patzer im Blech wären auch nicht nötig gewesen.

Der CHOR DER SÄCHSISCHEN STAATSOPER DRESDEN (Leitung: Matthias BRAUER) mühte sich mit durchwachsenen Erfolg mit der ihm von der Regie zugedachten Rolle als Bewegungschor und seinen eigentlichen musikalischen Aufgaben nicht unterzugehen.

Weniger ist mehr, aber schön war es trotzdem (s.o.). MK & AHS