"LOHENGRIN" - 7. Oktober 2007

Vorurteilsfrei ging ich nicht in diese Dresdner Aufführung. Schließlich zeichnete Christine MIELITZ für die Regie verantwortlich. Keine Ahnung, was ich mir eigentlich genau vorstellte. Die Fotos auf der Homepage der Semperoper waren jedenfalls nicht sehr aussagekräftig.

Was ich zu sehen bekam, überraschte mich - und zwar im überaus positiven Sinne. Die Inszenierung aus dem Jahr 1983 (Wiederaufnahme 2002) besitzt all das, was man von einer guten Werkdeutung erwartet. Die Handlungsstränge zwischen den Personen sind gut entwickelt, jeder Charakter ist akkurat ausgearbeitet worden. Nie wirkt etwas planlos. Nichts ist überzogen.

Zugleich gibt es die kleinen, feinen Gemeinheiten, die man heute teilweise nur noch plakativ mit dem Holzhammer geboten bekommt. Wenn z.B. die Kirche im Säbelgerassel vor dem Münster eben mal das Banner segnet, oder sich die Stimmung vor dem sich anbahnenden Krieg langsam aufheizt, ist dies Teil der Geschichte und harmoniert hervorragend mit dem Gesamtkonzept.

Der eigentliche Machtkampf findet zwischen Elsa und Ortrud statt, die beide die Krone Brabants begehren, und es ist Elsa, nicht Lohengrin, die vor dem Münster gekrönt wird. Ungewöhnlich? Vielleicht, aber eigentlich folgerichtig, denn nach Gottfrieds Verschwinden ist sie allein die Erbin ihres Vaters.

Das Bühnenbild von Peter HEILEIN, von dem auch die Kostüme stammen, entpuppte sich aus heutiger Sicht als geradezu üppig, doch alles paßte punktgenau. Details wie z.B. der Schwan als Altarbild im Münster oder das purpurrote Bett mit hohen Himmel als Mittelpunkt des Brautgemachs ließen den Blick auch mal abschweifen.

Der Schwan war tatsächlich ein Schwan. Ein kitschig gleißend-glänzender zwar, doch er bewegte sich bei Lohengrins Auftritt samt selbigen auf dem Rücken tatsächlich vom Bühnenhintergrund einige Meter nach vorn.

Die Kostüme, m.E. in der Zeit Kaiser Rudolf II. ansiedelt wurden, waren herrlich farbenfroh und/oder rollenangemessen sowie (fast) alle sehr kleidsam (nur das erste Lohengrin-Kostüm fiel hier ein wenig ab, beflügelte aber durchaus die Kreativität.).

Ein solches Meisterwerk verdiente natürlich auch eine erstklassige Besetzung, welche man an diesem Sonntagabend auch zu hören bekam.

Eine Überraschung gleich zu Beginn bot Jürgen LINN, der Hartmut Welker ersetzte, als verschlagener, perfekt intonierender Telramund. Seine Stimme besitzt den genau richtigen Charakter und die passende Klangfarbe für die Rolle. Gleichzeitig war sie mit genügend Durchschlagkraft gesegnet, um den z.T. zu machtvollen Klängen aus dem Orchestergraben die Stirn zu bieten.

Janina BAECHLE, die Ortrud des Abends, zeigte all das, was zu einer perfekten Verkörperung dieser Rolle gehört. Präsent, selbst wenn sie nichts zu singen hatte, böse bis ins Mark, hinterlistig, wandlungsfähig und agil, bot sie einen temperamentvollen Gegenpart mit dem richtigen Maß an hoheitsvollem Gebaren. Bei einer Sängerin mit einem derart kraftvoll tönenden Mezzosopran ist dem Zuhörer um die Zukunft dieser Stimmgattung nicht bange, denn trotz der hervorragenden Abendleistung wird man das Gefühl nicht los, daß da noch viel mehr möglich sein wird.

Kurt RYDL (Heinrich) begann den Abend besorgniserregend. Es wurde besser, doch seine Wortdeutlichkeit blieb stellenweise beklagenswert, und vor schwierigeren Stellen atmete er häufig hörbar ein. In der Darstellung beschränkte er sich zumeist aufs Herumstehen. Dagegen besaß Matthias HENNEBERG neben Stimme und Haltung eine natürliche Präsenz, die dem Heerrufers Respekt verschaffte. Der Sänger verlieh so der eigentlich eher sekundären Rolle einen festen Platz in der Geschichte.

Der Begriff "Traumpaar" wird in der Opernszene derzeit ein wenig inflationär verwendet. So ist es wohl eher angebracht, hier von einer idealen Kombination in bezug auf die Besetzung von Elsa und Lohengrin zu sprechen. Anne SCHWANEWILMS und Robert Dean SMITH ergänzen sich im Zusammenspiel auf der Bühne perfekt. Jede kleine Geste sitzt, auf jedes Handeln des Anderen wird scheinbar blind eingegangen. Beide Rollengestaltungen passen perfekt zueinander.

Strahlend schön und mit makellosem Gesang eroberte Anne Schwanewilms sich das Publikum. "Es gibt ein Glück.", überhaupt ihr gesamter Auftritt am Anfang des zweiten Aktes war einer der Höhepunkt des Abends. Brav und duldend wird ihre Elsa wohl nie sei, was der Rolle sehr gut tut, denn so entwickelt sie sich vom noch verhaltenen Beginn vor Gericht, über einen ersten kämpferischen Ausbruch vor dem Münster hin zur Antwort fordernden Frau im Brautgemach. Eine schlicht logische Entwicklung und eine großartige Interpretation bar jeden Makels.

Robert Dean Smith war an diesem Abend stimmlich nicht 100%ig in Form. Streckenweise mußte er viel Druck auf die Stimme geben. Die musikalische Begleitung des Abends machte es ihm zudem nicht einfach, sich hier ein wenig zurückzunehmen. In den entscheidenden Momenten jedoch saßen die Töne, und die Gralserzählung, behutsam begonnen, wurde so schön wie lyrisch gesungen.

Punkten konnte der Tenor ein weiteres Mal in der Charaktergestaltung. Der neu entdeckte Machismo Lohengrins war höchst amüsant. Die tragische Komponente im letzten Akt, wenn die Regie dem Schwanenritter am Ende Raum für Dramatik jenseits des strahlenden Helden läßt, kam seiner Interpretation sehr entgegen.

Gerald HUPACH, Timothy OLIVER, Jürgen COMMICHAU und besonders Sangmin LEE drückten sich als Brabantische Edle nicht nur verschwörerisch in den Ecken herum, sondern ließen so interessante wie homogene Stimmen hören. Gabriele MÜLLER, Yvonne REUTER, Heike LIEBMANN und Andrea ALBERT ergänzten als Edelknaben schönstimmig. Gottfried von Brabant, der gleich nach seiner Rückkehr von König und Heerrufer vereinnahmt wird, wurde von Dominik KAU verkörpert.

Der CHOR DER SÄCHISCHEN STAATSOPER DRESDEN (Einstudierung: Matthias BRAUER) präsentierte sich als Muster kollektiven Gesanges. Es gab keine Ausstiege, keine Wackler. Kurz, die große Aufgabe wurde perfekt gemeistert.

Nahezu perfekt spielte auch die STAATSKAPELLE DRESDEN. Leider wurde der positive Eindruck im Zwischenspiel zwischen Brautgemach und Schluß von mehreren Blechpatzern arg getrübt. Christoph PRICKs Dirigat war alles in allem ordentlich, auch wenn man hin und wieder Romantik vermißte und manches viel zu laut geriet.

Es war ein wundervoller Abend, weil man sich auf Handlung, Gesang und die durchweg gute Besetzung konzentrieren konnte. Manchem mag es zu kitschig oder überladen gewesen sein, aber "Lohengrin" ist nun einmal eine romantische Oper. Oder nicht? AHS