"OTELLO" - 29. April / 1. Mai 2011

Gibt es das - einen Tenor, der die Titelpartie dieser Verdi-Oper singt und nicht brüllt? Der tatsächlich die musikalischen Nuancen erkennt und auch nutzt? Der zudem den Charakter spielt? Dunkel kann ich mich daran erinnern, dies bereits einmal live erlebt zu haben, und ich bin nicht unglücklich, daß Carl TANNER dieser Partie nicht nur 100%ig gewachsen war, sondern sie auch zu gestalten wußte. Hier schien alles richtig. Bar jeder aufgesetzten Attitüde und stets mit der passenden stimmlichen Entsprechung entwickelte sich Otellos Eifersucht zum regelrechten Wahn. Jeder Ton saß, und man war fasziniert von der Eleganz des Gesangs. Definitiv ist das eine Rolle, in der der Tenor öfter zu hören sein sollte.

Gerard QUINN, der mit dieser Serie sein Debüt an der Semperoper gab, bewies, daß auch ein größeres Haus kein Problem für seine Stimme darstellt. Eine Herausforderung? Sicherlich. Allerdings eine, an der der Bariton gewachsen ist. Die Tragfähigkeit der Stimme beeindruckte. Keine Sekunde wurde vom gewohnt sicheren Gesangsstil abgewichen. Die Töne verloren nichts von ihrer Wärme oder Feinheit. Hinzu kam ein durchdachtes Spiel. Jago ist hier nicht stets vordergründig der Übeltäter, sondern vielmehr ein Meister im Verstellen und Täuschen. Das "Credo" jedoch und später im Racheschwur mit Otello wurde der Charakter schonungslos enthüllt, was auch dem Gesang eine spannende Facette gab.

Als Cassio zeigte Wookyung KIM viel Temperament. Seiner Stimme tat das sehr gut und er wirkte so lebendiger als zuletzt in Hamburg. Stimmlich ist er über diese Partie sicherlich bereits hinaus, doch sie bot ob der seinem Tenor innewohnenden Kraft ein gutes Gegengewicht zum Otello.

Ein wenig konventionell wirkte dagegen Desdemona. Sie war mehr Anlaß als Teilnehmende. Nichtsdestotrotz beeindruckte Serena FARNOCCHIA mit ihrem sicheren, in allen Lagen schönklingenden Gesang. So erhielt ihre Heldin Zartheit und Verletzlichkeit. In dieser Form betörte sie Otello. Das erste Duett beider wirkte in seiner Anmut und seinem trefflich ausgewogenen Klang lange nach.

In den kleineren Rollen wußten an beiden Abenden vor allem Orlando NIZ (Rodrigo) und Tomislav LUCIC (Montano) zu beeindrucken. Auch Sofi LORENTZEN (Emilia) bot eine gute Leistung. Tilmann RÖNNEBECK enttäuschte als Lodovico durch einem recht unsauber klingenden Baß.

Jacques DELACÔTE hatte die musikalische Leitung gut im Griff, ohne diktatorisch zu wirken. Man hörte ein ausgewogenes Dirigat, das selten zu laut, nie langatmig war und in jedem Moment nach purem Verdi klang. Die SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE beeindruckte mit homogenem Spiel und hoher Virtuosität.

Aufgrund der hohen musikalischen Qualität störte die Inszenierung von Vera NEMIROVA wenig. Es spielt in ihrer Sichtweise auf Zypern, das gerade von Touristen erobert wird. Im Vordergrund ist eine der üblichen Bettenburgen am Entstehen, welche das dramatische Ende aber nur als Rohbau erlebt. Das Bühnenbild von Johannes LEIACKER erwies sich als eher spartanisch. Wozu der halbaufgehängte Jeep in der ersten Szene? Was macht Otello im Getränkekühlschrank? Man weiß es nicht. Die zumeist unvorteilhaften Kostüme (Frauke SCHERNAU) werden sich in besonders dramatischen Momenten gern auch mal in mehreren Schichten vom Leib gerissen. Beeindruckend und stimmungsvoll war hier allein die Lichtregie, für die Jan SEEGER verantwortlich zeichnete.

Verdis Opern sind am besten, wenn man auf der Bühne und im Graben mit Leidenschaft dabei ist, und deshalb waren diese beiden Abende in der Semperoper auch schlicht gelungen. Es wäre ausgesprochen schade gewesen, sie zu verpassen. AHS