"LA VERA STORIA" - 21. September 2002

Das Hamburger Musikfest mit seinem diesjährigen Motto "Bekenntnisse" liefert auch den Rahmen für die Spielzeiteröffnung an der Staatsoper. Denn was könnte ein größeres Bekenntnis sein, als die "wahre Geschichte"?

Nur daß bei Berio die Geschichte nicht wirklich eine Geschichte ist, und was ist schon Wahrheit? Im ersten Teil gibt es die Erzählung allerdings noch in Form eines klassischen Motivs: zwei verfeindete Brüder streiten sich um eine Frau, der eine bringt den anderen im Zweikampf um. Im zweiten Teil gibt es dann den Text (Libretto: Italo Calvino) in verwirbelten Bruchstücken gleich noch einmal, was ist nun die Wahrheit?

Luciano Berio schrieb die Oper 1981 für die Mailänder Scala. Die deutsche Erstaufführung 2002 in Hamburg hat man dem Regisseur Henning BROCKHAUS überlassen. Leider, denn statt sich den Zweifeln und dem fast philosophischen Text anzunehmen, stellt Brockhaus einen italienischen Marktplatz in schwarz-weiß auf die Bühne (Ezio TOFFOLUTTI), dessen Häuser zwar beweglich sind, und damit wohl die Unsicherheiten der Geschichte ausdrücken sollen, der aber der Phantasie keinerlei Raum läßt. Auf diesem Platz finden die Kämpfe statt. Der zwischen den Brüdern und immer wieder die zwischen Militär und Zivilbevölkerung. Mehr scheint dem Regisseur nicht eingefallen zu sein, als den in Gruppen choreographierten Chor von rechts nach links und von links nach rechts kämpfen zu lassen. Selbst beim Trio der jungen Frau mit den beiden Brüdern, werden die drei auf Fassadenteilen hin und her gerollt. Natürlich ist das ein Symbol für die Fremdbestimmtheit der Figuren, aber solche Symbole immer nur wieder aneinander zu reihen...

Das trägt auch dann keine zwei Stunden, wenn die Widmungsträgerin der Oper MILVA die Erzählerrolle, voller folkloristischer Chansons, mit viel italienischem Esprit und Bühnenpräsenz erfüllt. Auch an den anderen Sängern kann es nicht liegen. Sowohl Helen KWON als umworbene Frau, wie Paul LYON, Ashley HOLLAND oder Andreas HÖRL singen ihre Partien mit großem Einsatz. Ebenso Ingo METZMACHER, der das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER sicher und schwungvoll dirigiert. Sie alle können allerdings die Statik der Inszenierung nicht vergessen machen.

Das ist ärgerlich. Denn wie schon seinerzeit Nonos "Al gran sole" in der Regie von Travis Preston kaputt inszeniert wurde, so schadet auch hier die schnell aufkommende Langeweile der an sich abwechslungsreichen und vitalen Musik Berios. Vielleicht hätte sich in diesem Fall der Haus- und Hofregisseur Peter Konwitschny der Sache annehmen sollen. Er, der nicht fanatisch an alten verstaubten Oberflächen klebt, hätte hier vielleicht die Geschichte in der Geschichte gefunden. Kerstin Schröder