„NABUCCO“ - 3. April 2003

oder: Ein konzertantes Puzzleoratorium mit Opernhituntermalung und Kostümen

„Monument“ stammt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie Denkmal. Betrachtet man nun Monument als Ursprung für das Adjektiv „monumental“, also dem sehr populären Attribut für Verdis Oper Nabucco, muss man feststellen, daß dem Regisseur Günter ROTH mit seiner Produktion dieser Oper für die „Loreley Klassik“ ein wahres Meisterwerk gelungen ist. Ein Denkmal zeichnet sich ja meistens dadurch aus, daß es GROß und UNBEWEGLICH ist. Und das trifft auf seine Inszenierung vollkommen zu.

Groß, weil die Veranstaltung in der neu gebauten Hamburger Color Line Arena stattfand, die an dem Abend etwa 7000 Menschen faßte. Unbeweglich, weil ca. achtzig Prozent der Zeit in der Gegend rumgestanden wurde, die restlichen zwanzig Prozent, in denen Bewegung zu erkennen war, verteilten sich auf Auftritte, Bühnenumbauten und gelegentliche Anflüge von dem Wissen darum, was gerade geschieht. Man erschrak geradezu, wenn sich jemand bewegte. Das Bühnenbild würde ich durchaus als praktikabel bezeichnen, aber es wäre toll gewesen, wenn es fähige Bühnenarbeiter gegeben hätte, die gewußt hätten, wie sie die verschiebbaren Wände denn nun hinstellen müssen, damit auch die richtige Seite nach vorne zeigt. Es dauerte immer ewig, bis alles so stand, wie es stehen sollte. Ansonsten war die Kulisse, die von Christina ALAIMO entworfen wurde, nicht wirklich idiomatisch oder ausdrucksvoll, es wirkte aufgemalt. Die Kostüme, die vom Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin gestellt wurden, waren da schon zeitgemäßer.

Walter DONATI wurde im Vorfeld von Lothar FRITSCH (künstlerischer Leiter der Loreley Klassik und Oberpriester) in einem Zeitungsartikel mit dem Attribut „bester derzeitiger Nabucco“ belegt. Dem kann ich nur vehement widersprechen, schon weil ich mit dieser Art Superlative meine Probleme habe. Er hat sicherlich nicht die schlechteste Stimme, und technisch ist er der Partie auch gewachsen, aber sonst ließ er doch ein gehöriges Maß an Italianita vermissen, er klang eher nach „Donath“, als nach „Donati“. Ein recht gelungenes „Dio di Giuda“ konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß eine echte Rollenidentifikation nicht bestand.

Antonella BANAUDI versuchte sich an der Abigaille. Sieht man von einer nicht vorhandenen Technik und vielen daraus resultierenden Noten, die heute noch darauf warten, gesungen zu werden, einem nicht existenten dramatischen Ausdruck (von einem diesbezüglichen Potential ganz zu schweigen), einer häßlichen Stimme, für dessen nähere Beschreibung mir die pathologischen Fachbegriffe fehlen, und einem noch häßlicheren, dazu noch kaum zu vernehmenden, Quartpassagio ab, gilt es festzustellen, daß sie sich auch interpretatorisch verirrte und zwar in die sanftesten Adagio-Regionen Mozarts (weiß sie, was sie singt???). Sie war nur halbwegs zu ertragen, wenn es lyrischer wurde.

Aufatmen konnte man bei Alexander TELIGA, der anstelle des auf dem einen Plakat, das ich sah, angekündigten Kurt Rydl den Zaccaria sang, dessen organisatorische Fähigkeiten nicht ausreichten sowohl einem zweiten Jägersburschen in etwa 800 Kilometern Entfernung illegale Hilfe bei der Brautwerbung zu leisten, als auch gleichzeitig noch einem Volk Hoffnung zu geben und Geiseln zu halten. Nach dem, was ich von Rydl kenne, war das auch kein allzu großer Verlust. Teliga wartete mit einem rundum schöntimbrierten profunden Bass auf, dem die Anforderungen der Partie keinerlei Probleme bereiteten. Traurig, daß seine Cavatine im ersten Akt einstrophig blieb. Leider fiel er im Verlauf der Vorstellung etwas ab.

Salvatore RAGONESE (Ismaele) ließ einen eher durchschnittlichen Tenor vernehmen, war ansonsten recht solide und meisterte die Rolle mit Anstand. Seine Fenena (Krisztina NEMETH) konnte da nicht mithalten. Im ersten Akt hörte man doch deutlich stimmliche Probleme. Ihre Arie im letzten ist ja nicht die schwierigste.

Bei den kleineren Partien fiel v.a. Anton KUHN als Abdallo positiv auf. Zudem waren er und Teliga die einzigen, die halbwegs Ausstrahlung hatten. Gerty ARRAS’ Anna blieb weitestgehend ungehört. Lothar Fritsch versuchte sich scheiternder Weise am Oberpriester (was will man auch von jemandem erwarten, der Donati als besten Nabucco bezeichnet und Banaudi als Abigaille engagiert?).

Kurios war die Tatsache, dass man bei einigen Sängern deutlich hörte, daß sie elektronisch verstärkt wurden, während es bei anderen gar nicht auffiel. Es hätte allerdings nichts geschadet hätte, wenn das eine oder andere Mikrophon kaputt gewesen wäre.

Ein großes Lob gilt an dieser Stelle den HAMBURGER SYMPHONIKERN, die trotz Helge DORSCHs kryptischer Schlagtechnik doch größtenteils irgendwie immer zusammenblieben. Dennoch tönte es reichlich verwaschen und äußerst akzentfrei durch die Halle (lag vielleicht auch etwas an den Boxen). Es war alles wie ein Brei. Dorsch ließ es komplett vermissen, Dramatik aufkommen zu lassen, geschweige denn Brio, Ausdruck oder ähnliche Nichtigkeiten. An Tempi kennt er exakt zwei: hetzen und schleichen. Dazwischen gibt es nichts, noch nicht einmal Übergänge.

Grauenvoll war der CHOR DER LORELEY-FESTSPIELE (scheinbar ohne Leitung), dem das Vibrato wohl noch nicht beigebracht wurde, ebenso wenig wie die Tatsache, daß es nicht gut ist, wenn man fast über jedes einzelne Mitglied eine Kritik schreiben könnte, die im übrigen nicht gut ausfallen würde. Ich hatte häufig das Gefühl, daß ich mich in einem Barockoratorium befinde und nicht in einer Verdi-Oper. Wolfgang Schmoller