THOMAS QUASTHOF - 12. Januar 2003

Trotzdem eine der wohl größten Sängerpersönlichkeiten unserer Tage auf der Interpretenliste des 5. Philharmonischen Konzerts stand, war die Musikhalle nicht ausverkauft. Ob das unschöne Hamburger Tauwetter schuld daran war, oder doch die extrem spärliche und sehr unauffällige Werbung, darüber kann ich nur spekulieren. Sollte ersteres der Fall gewesen sein, kann ich diejenigen, die sich davon haben abschrecken lassen, nur bedauern, denn es wurde auf sehr hohem Niveau musiziert.

Mit György Ligetis „Lontano für großes Orchester“ gab es ein selten gespieltes Werk zu hören. Die Musik erinnert nicht selten an die sphärisch tremolierenden Streicher des „Lohengrin“-Vorspiels. Sie hat keine wirkliche Melodie, schwankt zwischen Kon- und Dissonanzen und beugt sich keiner Schule, sondern nutzt Ligetis selbst entworfene Mikropolyphonie, die die Ausführenden teils vor die große Herausforderung von 57 (!) parallel laufenden Stimmen stellt. Diese schwere Aufgabe löste das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER HAMBURG unter dem gerade auf dem Gebiet der modernen Musik sehr erfahrenen und versierten GMD Ingo METZMACHER gekonnt. Er beläßt das Stück in seinem fließenden Duktus, ohne Ecken und Kanten. Sehr eindringlich war die Stille nach dem Werk, das mit einer Generalpause endet.

Thomas QUASTHOFF wurde seinem Ruf als einer der besten Liedinterpreten vollkommen gerecht. Er sang die sechs Lieder aus Mahlers Zyklus „Des Knaben Wunderhorn“ („Revelge“, „Wo die schönen Trompeten blasen“, „Des Antonius von Padua Fischpredigt“, „Der Schildwache Nachtlied“, „Der Tamboursg’sell“ und „Urlicht“) mit einer unglaublichen Intensität und zartesten pianissimi. Insbesondere gilt es, sein eindringliches „Urlicht“ hervorzuheben, bei dem einem wirklich der Atem stockte. Er trifft den traurigen Ton dieser (Anti-)Kriegslieder sehr genau. Einziges Manko bei ihm sind die Höhen im Forte. Dort wird seine bassige Stimme, mit der ich mich trotz ihres immensen Ausdrucks nicht so recht anfreunden kann, eng und brüchig.

Ingo Metzmacher erwies sich als ebenbürtiger Partner, ließ Quasthoff genügend Spielraum, ohne dabei in den Hintergrund zu treten. Die Publikumsreaktionen waren nicht gerade überschwenglich, aber doch lang und herzlich.

Der zweite Teil des Konzertes stand ganz im Zeichen von Bartóks Konzert für Orchester. Bedingt durch zwei famose Aufführungen von seiner Oper „Herzog Blaubarts Burg“, waren meine Erwartungen sehr hoch gesteckt, und sie wurden definitiv nicht enttäuscht! Der Dirigent entlockte dem sehr gut disponierten Klangkörper ein Höchstmaß an Spannung, die zu keinem Zeitpunkt je abzureißen drohte. Es wurde gewissermaßen jeder Takt ausgekostet, ja, ich bin geneigt von einer regelrechten Verschmelzung mit dem Werk zu sprechen.

Ach ja, und dann waren da noch einige Menschen, denen wohl nicht bekannt war, daß man zwischen Liedern einer Liedgruppe nicht klatscht. Muß man das wirklich noch in ein Programmheft schreiben??? Ich dachte, das gehört zur Allgemeinbildung eines jeden Konzertbesuchers... Wolfgang Schmoller