„LOHENGRIN“ - 21. September 2003

Selbst nach fünfeinhalb Jahren und 24 Vorstellungen teilt Peter KONWITSCHNNYs Hamburger „Lohengrin“ noch das Publikum in zwei Teile: den einen, der sich an seiner manchmal übertriebenen, ja holzhammerhaften Symbolik oder einfach nur an der Verlegung der Handlung in ein Klassenzimmer aufreibt. Der andere genießt die herrliche, stringente und unglaublich schlüssige Personenführung. Ein Mittelding gibt es nicht! Ich kann beide Seiten verstehen, wenngleich ich mich zu der letzten Gruppe zähle. Der wohl umstrittenste Regisseur unserer Zeit, der es sich auch bei der Wiederaufnahme nicht nehmen ließ, diese mit seiner Anwesenheit zu beehren (was ich an ihm sehr schätze), schuf eine ungemein detaillierte Inszenierung, in der man auch nach dem vierten Mal noch neue Einzelheiten entdeckt.

Konwitschny sieht in allen Figuren im Prinzip nur Kinder, Lohengrin ist der einzige Erwachsene. Selbst König Heinrich unterscheidet sich von seinen Schülern nur in der Tatsache, daß er eine kleine Krone auf dem Kopf und einen Rohrstock in der Hand trägt. Die Krieger fuchteln mit Holzschwertern in der Luft herum, mit einem solchen darf Lohengrin Telramund im Gotteskampf besiegen, bei der Tötung dessen, verwendet er ein echtes. Auch die Personenkonstellationen sind dem Regieteam bestens gelungen. Ortrud und Telramund sind von vornherein Außenseiter (sprich, sie sitzen in der letzten Reihe, jeder an seinem Tisch und jeder ohne Nachbarn), im zweiten Aufzug kann sich der Graf zuerst von seinen ihnen im vorigen Bild angelegten Fesseln befreien, während seine Gattin das gar nicht erst versucht.

Der Schwanenritter wird schon durch sein Aussehen entmystifiziert, er ist kein hehrer Held, sondern ein normaler Mann, der in der Brautgemachszene seiner Angetrauten in erster Linie „an die Wäsche“ will, während Elsa recht verschüchtert eher das keusche jungfräuliche Schulmädchen ist, sich bedrängt fühlt und daraufhin die verheerende Frage an ihn richtet.

Die Schuluniformen entwarf Helmut BRADE, der auch für das Bühnenbild verantwortlich zeichnet.

Ein Highlight ist für mich immer wieder die Verwandlungsmusik im dritten Aufzug. Die Trompeter, die die „Solo-Passagen“ haben, sind auf die Ränge im Haus verteilt, später stoßen die vier Königstrompeter und Rührtrommler auf die Bühne – ein Hörerlebnis der ganz besonderen Art!!! Jedem, der diese Inszenierung vorweg als Schund o.ä. verurteil, ohne sie gesehen zu haben, kann ich nur empfehlen, sie sich anzuschauen, es meckert sich einfach glaubwürdiger und weniger pauschal...

Leider konnte die musikalische Seite nicht im Entferntesten an vorangegangene Abende heranreichen. Harald STAMMs Heinrich geriet stellenweise aus dem Rhythmus, es gab aber auch Passagen, in denen er voll überzeugen konnte, da sah man auch über seine altersbedingten Verschleißerscheinungen hinweg, ein überzeugender Darsteller ist er allemal!

John TRELEAVEN hinterließ als Lohengrin einen äußerst zwiespältigen Eindruck. In den lyrischen, den intimen Teilen gelangen ihm einige schöne Momente, wenn es jedoch dramatischer wurde, verfiel er in die fürchterliche Unart, zu deklamieren, so daß es eher klang, als würde er in verschiedenen Lagen sprechen. Dadurch machte er große Teile seiner ansonsten gar nicht mal so uninteressanten Gralserzählung (ohne zweiten Teil) kaputt. Kurios ist die Tatsache, daß er eine sehr baritonale Tiefe hat, die Höhe aber manchmal eher nach Falsett klingt. Die Intonation war auch nicht immer sehr rein. Glücklicherweise bemühte er sich um Differenzierung.

Seine Elsa war bei Emily MAGEE in zu jungfräulichen Händen. Sie sang alles nett, aber das war’s dann auch schon. Außerdem fehlt ihr ein wenig die charakteristische Stimmfarbe. Sehr nervig war ihr naiv-kindliches Spiel.

Bei Hartmut WELKERs Telramund hatte ich v.a. bei „Oh König, trugbetörte Fürsten“ das Gefühl, daß er leicht angeschlagen war, da mußte er mit ziemlichem Druck singen, um einen Ton herauszubringen, vielleicht lag es aber auch daran, dass er das auf dem ca. vier Meter hohen Schrank singen musste. Insgesamt war seine Stimme etwas zu guttural, er verlagerte den Stimmsitz nach hinten, um künstlich Volumen zu erzeugen. Nichtsdestotrotz gelang ihm ein tolles Rollenportrait.

Ein solches Renate BEHLE zu attestieren, wäre reinste Blasphemie. Ihr Rollendebüt war der absolute Schwachpunkt in der Aufführung. Sie machte so gar nichts aus der Partie und sang vieles auf Sparflamme dergestalt, daß man den Eindruck bekam, daß es ihr peinlich war, laut zu singen. Behle verfügt zwar im Grunde über eine recht schöne Stimme, wenn es aber in die Vollhöhe geht, kann man das nur noch mit Kreischen bezeichnen. Ihr „Entweihte Götter“ war die reinste Zumutung, was ein kleiner Teil des Publikums nicht so sah und prompt nach diesem applaudierte... Auch ihr darstellerisches Talent läßt arg zu wünschen übrig.

Kommen wir nun zum musikalischen Höhepunkt der Aufführung: dem Heerrufer (ja, Sie lesen richtig!). Jan BUCHWALD fiel mir in zahlreichen Nebenrollen eher mit steifem Singen und ebensolchem Spiel nicht auf, in dieser Rolle ging er jedoch förmlich auf, er hatte sichtlich Spaß am Spielen und Singen, und beim Schlußapplaus erhielt er auch am meisten Beifall (!). Vielleicht ist ja jetzt der Knoten geplatzt???

Die vier Edlen (Ho-yoon CHUNG, Dirk SCHMITZ, Alexander TSYMBALYUK, Wilhelm SCHWINGHAMMER) und Edeldamen (Ulrike GOTTSCHICK, Lucija MARINKOVIC, Sabine RENNER, Katharina DIERKS) ergänzten das Ensemble solide.

Enttäuscht war ich vom Dirigat von GMD Ingo METZMACHER. Zwar breitet sich die Gralssphäre des Vorspiels wundervoll quasi aus vollkommener Stille heraus aus, dann jedoch wirken seine Mannen unmotiviert, dazu kamen zahlreiche Patzer, insbesondere bei erwähnter Verwandlungsmusik verrutschten den Blechbläsern so einige Töne. Der CHOR (Florian CSIZMADIA) hatte viel Spaß an der Produktion, was sich aber nicht auf den Gesang übertrug, die Einsätze waren ungenau und die Bässe klangen zu kehlig. WFS