„TURANDOT“ - 25. September 2003 & 15. Oktober 2003

Vor ziemlich genau zwanzig Jahren hatte Gian-Carlo del MONACOs „Turandot“ an der Hamburgischen Staatsoper Premiere. Und nach all dieser langen Zeit hatte ich, als jemand, der sie zum ersten Mal sah, das Gefühl, daß sie nicht zu einer dieser „Jeder macht das, was er gerade meint, machen zu müssen und sei’s nur rumstehen“-Produktionen verkommen ist.

Das Bühnenbild (Peter SYKORA) besteht, mit Ausnahme der in einem weißen, lichtdurchfluteten Raum spielenden Ministerszene im ersten Bild des zweiten Akts, aus einer nach hinten abfallenden, Decke, die eine gewisse Enge erzeugt, je zwei Treppen beiderseits der Bühne, wo sich der Chor tummelt, und einer weiteren, die zur Decke führt, die durch sie geteilt wird. In dieser Teilung befinden sich zwei übereinandergeordnete Türen, die Altoum und Turandot für ihre Auftritte vorbehalten sind, die Seiten der unteren werden von den abgeschlagenen Köpfen „geziert“. Del Monaco verzichtet auf große Umdeutungen und erzählt vornehmlich die Handlung.

Nicht so ganz zufrieden war ich mit den Kostümen (auch Sykora), die für meine Begriffe nicht „chinesisch“ genug waren. Die Minister trugen beispielsweise wenig kleidsame, schwarze Latze, die glücklicherweise im dritten Akt durch die schwarzen Gewänder verdeckt waren. Dafür verwunderten mich die Schärpen (eine war rot, die andere gelb, die dritte grün), was mir spontan den Gedanken aufkommen ließ, daß das die Verkehrsminister sein müssen! Ein Kostüm, das ich hingegen sehr gelungen fand, ist das Calafs. In dem kann man gar nicht blaß aussehen!

Bei der sängerischen Seite überzeugten in erster Linie Timur und Liu. Harald STAMM gestaltete den gestürzten König der Tartaren mit großer Intensität und Glaubwürdigkeit. Seine Stimme ist für diese Partie nahezu ideal. Hellen KWON zeigte mir einmal mehr, daß sie einen Fachwechsel vollziehen sollte. Auch ihre Stimme paßt bestens zu der Musik. Auf lange Sicht könnte man sich auch das jugendlich-dramatische Fach vorstellen.

Die Partie der Turandot dürfte für Eva URBANOVA, die ihr Hausdebüt gab, noch eine Nummer zu groß sein. In der Höhe mußte sie mit einigem Nachdruck singen und auch sonst war ihr Vortrag nicht frei genug. Dennoch ist sie nicht uninteressant, wenngleich in ihrer Stimme etwas ist, was ich nicht so mag, ich aber auch nicht beschreiben kann.

Auch der Calaf wurde von einem Hausdebütanten gesungen. Viktor LUTSIUK ist erfreulicherweise kein Tenor, dem Lautstärke über alles geht und der das hohe C für das Wichtigste in seinem Beruf hält. Etwas problematisch ist jedoch seine nicht optimal fokussierte Stimme, die ein leichtes Flattern (v.a. in der Mittellage) verursacht. Ein Kuriosum war für mich das „Nessun Dorma“. Ich schwanke bei den Attributen für dieses zwischen „interessante Variante“ bis hin zu „interpretatorischer Amoklauf“.

Der Altoum wurde von Frieder STRICKER mit sehr verbrauchter Stimme gesungen, was aber zu der Rolle auch paßt. George PETEAN (Ping) entwickelt sich ganz langsam zu einem guten (Verdi-)Bariton, Michael SMALLWOOD (Pang) gefiel mit seinem Charaktertenor. Bei dem Ministerterzett fiel lediglich Peter GALLIARD (Pong) aus der Reihe, der erneut arge Intonationsprobleme offenbarte und sich nicht so recht in irgendein Ensemble einfügen will.

Sehr gut gefielen mir die Kammerfrauen von Gabriele ALBAN und Lucja MARINKOVIC. Jörn SCHÜMANN sang den Mandarin solide in einem sehr eigenwilligen Italienisch.

Ralf WEIKERT am Pult des PHILHARMONISCHEN ORCHESTERS hält den Hamburger Dirigentenstandard aufrecht: die meiste Zeit waren alle zusammen, aber mehr auch nicht. Da war weder Brutalität noch ostasiatisches Flair zu spüren. Zudem war er recht laut, allerdings waren die Sänger noch zu hören. Der CHOR unter Florian CSIZMADIA und die HAMBURGER ALSTERSPATZEN präsentierten sich in sehr guter Verfassung.

In der Vorstellung am 15.10. gab es dann ein Wiedersehen mit Gabriele SCHNAUT, die in der vorigen Saison mit ihrer faszinierenden Elektra einen großen Erfolg verbuchen konnte. Auch ihre Turandot kann sich hören lassen. Sie gibt ein differenziertes Portrait, dieser so schweren Rolle. Allerdings nerven nach einer gewissen Zeit ihre eher geschrieenen hohen Töne, die sie auch nicht wirklich kontrolliert bildet. Etwas seltsam mutet auch ihre verzerrte Mimik beim Singen an. Ein tolle Darstellerin ist sie jedoch allemal.

Sabina CVILAK übernahm in den zweiten beiden Vorstellungen mit ihrem Hausdebüt die Liu und vermochte durchaus zu überzeugen. Sie verfügt über eine schöne Stimme, mit der sie wirklich feinste piani singen kann, die zu Herzen gehen.

Alberto CUPIDO (Calaf) lieferte sich mit Schnaut und Weikert regelrechte Lautstärkewettbewerbe (die meist von Schaut gewonnen wurden). Dieser Sänger kennt exakt drei Lautstärken: „zu laut“, „aua, meine Ohren!“ und „lassen wir das“, eine widerliche Abart eines Versuches, ein mezzopiano zu singen, wo seine Stimme immer versagte. Leider läßt sich diese Kritik auf ALLE seine Darbietungen anwenden, man mu nur den Rollennamen ändern. Das nächste Mal, wenn er hier wieder Calaf macht und ich ihn höre, werde ich sicherlich NACH dem „Nessun Dorma“ aus der Pause zurückkehren. Jeder Mensch kann singen, nur sollte man es nicht jedem erzählen, er könnte es gegen dich verwenden... WFS