„DIALOGUES DES CARMÈLITES“ - 26. Januar 2003

Auf den Tag genau 46 Jahre nach der Uraufführung an der Mailänder Scala am 26. Januar 1957 präsentierte die Hamburgische Staatsoper zum ersten Mal Francis Poulencs Dialogues des Carmélites. Der äußere Rahmen der Handlung folgt historischen Tatsachen: der Auflösung des Klosters der Karmeliterinnen von Compiègne durch die französischen Revolutionsbehörden im August 1792 und der Hinrichtung von 16 Ordensschwestern wegen angeblicher Verschwörung am 17. Juli 1794, so wie sie sich einerseits aus dem 1836 veröffentlichten Bericht von Mère Marie de l’Incarnation (der einzigen Überlebenden) und andererseits aus den erhaltenen Dokumenten (Anklageschrift und Urteil) ergeben.

Direkte Grundlage für das vom Komponisten verfaßte Libretto war das einige Jahre früher entstandene Schauspiel „Die begnadete Angst“ von Georges Bernanos, eines führenden Vertreters der Renouveau Catholique. Dieses wiederum beruhte auf einem Filmscript, das nach der 1931 erschienenen Erzählung „Die Letzte am Schafott“ der zum Katholizismus konvertierten Deutschen hugenottischer Abstammung Gertrud von le Fort geschrieben worden war. Letztere erfand mit der zentralen Figur der Blanche de la Force (die Namensähnlichkeit ist schon auffällig) und ihrer Familie auch die einzigen fiktiven Figuren der Geschichte. Wichtig für das Stück sind jedoch nicht die Äußerlichkeiten, sondern die immer wieder um Angst und Tod und die Überwindung der Todesangst in einem bewußten Märtyrertod kreisenden Gespräche der Nonnen. In der streng katholischen Ausrichtung der Thematik ist eine gewisse Ähnlichkeit mit „Saint François d’Assise“ gegeben. Doch wo Messiaens naiv in sich selbst ruhender Glaube einfach wirkt, ohne überreden zu wollen, erscheint hier auf Dauer ein messianischer, katholisch sein wollender Zug mit unechtem Unterton. Die stark an „Pelléas et Melisande“ orientierte – und damit für ihre Zeit äußerst konservative – kunstvoll instrumentierte Musik bekommt beim Versuch der heroischen Überhöhung einen kitschig kunstgewerblichen Beigeschmack – Oberammergau läßt grüßen.

Leider verstärkt die Inszenierung von Nikolaus LEHNHOFF diesen Eindruck noch, anstatt gegenzusteuern. Dabei hat er erfreulich unspektakulär und äußerst präzise gearbeitet. Die am Anfang ganz auf die Charakterisierung der Figuren und ihre Beziehungen untereinander konzentrierte Personenführung orientiert sich in ihrer formellen Distanz an den Konventionen der Zeit (hierbei gut von den geschickt, weil unauffällig, auf die dreißiger und vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts – die Zeit der Entstehung der literarischen Vorlagen also – modernisierten Kostümen von Andrea SCHMIDT–FUTTERER unterstützt) und bietet damit zunächst ein durchaus faszinierendes Bild einer in ihren Ritualen erstarrten, dem Untergang geweihten Gesellschaft.

Nach der Pause aber legt sich ein immer stärkerer Hang zur Ästhetisierung wie Blei auf die Szene. Die dramatische Wahrheit wird einer Schönheit ohne Sinn geopfert, wichtigster Punkt scheint die in ihrer Penetranz irgendwann peinliche Symmetrie des Bildes zu sein. So verkommt die Szene im Kerker zum kitschigen Gruppenbild mit Priorin – optische Frömmelei ersetzt die Inbrunst der zum Martyrium Bereiten. Theatralische Wirksamkeit kann so kaum aufkommen; allein die Szene der sterbenden Priorin (von Kathryn HARRIES mit facettenreicher Charakterstimme und atemberaubender Präsenz grandios gezeichnet) packt wirklich. In einem kurzen Moment, wenn die Nonnen ihre Tracht ablegen und in ihren weißen Hemden verängstigt wie nackt dastehen, blitzt sogar so etwas wie eine Theaterpranke auf und weist darauf hin, was hätte sein können.

Und auch das Einheitsbühnenbild von Raimund BAUER, ein hoher, leerer Raum praktisch ohne Mobiliar, in dem die Beleuchtung das Gittermuster einer Zelle zeichnet, ermüdet trotz seiner logischen Konsequenz irgendwann. Die Lichteffekte, die ihn verändern, bleiben schöne Spielerei.

Musikalisch kann sich der Abend dagegen durchgehend hören lassen. Ingo METZMACHER entlockt dem gut disponierten und hervorragend präparierten PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTER eine Vielzahl an Farben und hält die Musik trotz der häufig getragenen Tempi im Fluß. Eine gewisse Anlaufzeit benötigt allein die dynamische Balance zwischen Bühne und Graben, selbst auf den akustisch günstigen Parkettplätzen laufen die Solisten zu Beginn des öfteren Gefahr, überdeckt zu werden.

Beeindruckend die Geschlossenheit des Damenensembles, dem es durchweg gelingt, sich neben der Ausnahmeleistung der Harries zu behaupten. Ana Maria MARTINEZ findet für die Blanche wunderbar schwebende melancholische Töne zur Charakterisierung ihrer Weltangst. Nur in den wenigen Ausbrüchen fehlt vorerst noch das letzte Quentchen Kraft. Ganz auf lyrische, wie gläsern klingende Bögen setzt Danielle HALBWACHS als Neue Priorin; eine stimmlich hervorragende Leistung, an der mir persönlich jedoch die Identifikation mit der Figur fehlt.

Die nicht sonderlich große, aber dramaturgisch wichtige Partie der Mère Marie de l’Incarnation ist mit Anja SILJA (die an der Scala demnächst die Priorin singen wird) wahrhaft luxuriös besetzt. Und Inga KALNA überzeugt als lebensfrohe Soeur Constance mit ihrem in der Höhe strahlkräftigen, leicht anspringenden Sopran. Komplettiert wird die Riege durch Gabriele ALBAN (Soeur Mathilde) und Olive FREDRICKS (Mère Jeanne), die in ihrem einzigen größeren Solo mit zappeligen Bewegungen leider vor allem sich selber spielt.

Bei den Herren punkten die Tenöre: Jürgen SACHER mit einer klugen Studie als Beichtvater und Yann BEURON mit frischem lyrischem Tenor als Blanches Bruder. Wicus SLABBERT macht als Vater dagegen zwar gute Figur, läßt aber nurmehr einen brüchigen, verbrauchten Bariton hören.

Die meisten kleineren Partien sind mit Moritz GOGG (Offizier), Peter VEIT (Thierry), Carl SCHULTZ (Monsieur Javelinot) und Jan BUCHWALD (Kerkermeister) solide besetzt. Frieder STRICKER gelingt sogar trotz ausgesprochen unidiomatischer Diktion eine nette Szene als Erster Kommissar, dem man nur einen besseren Kollegen als den ebenso stimmlich wie sprachlich unschönen Alexander TSYMBALYUK gewünscht hätte. Hartmut Kühnel