HALB UND HALB ("FIDELIO" - 13. April 2004)

8 Jahre vergingen seit der letzten Vorstellung von Beethovens Oper „Fidelio“ an der Hamburgischen Staatsoper, dessen Produktion 8 Jahre im Repertoire war. Und nach erwähnten 8 Jahren hatte nun am 04.04.04 genau diese Oper Premiere. Ich glaube allerdings eher weniger, daß sich die Verantwortlichen um dieses Zahlenspiel sonderlich geschert haben...

Jedenfalls gab es ein (spätes) Debüt zu vermelden, nämlich in Form von Hans NEUENFELS, dem einundsechzigjährigen Skandalregisseur, der, wo er auch immer inszeniert, wie kaum ein anderer auf nahezu ungeteilte Ablehnung stößt. Es war ein ausdrücklicher Wunsch des GMD Ingo Metzmacher mit ihm eine Oper rauszubringen, was hiermit erfüllt wurde. Es war meine erste Produktion, die ich von ihm sah (abgesehen von ein paar Ausschnitten im TV von anderen Arbeiten), und muß zugeben, daß ich es mir schlimmer vorgestellt habe, jedoch alles andere als begeistert bin. Im Programmheft erläutert er sehr schlüssig seine Konzeption. All das konnte man auch in irgendeiner Weise verwirklicht sehen, aber meistens eher marginal und wenn, dann arg überspitzt. Für diese Produktion entwickelte er eigens eine Dialogfassung, in die er die ursprünglichen einfließen ließ und die von Sprechern vom Band gespielt wurden.

Das Ganze beginnt schon mit einer sehr sinnlosen Ankündigung des Stückes auf dem schwarzen Vorhang während der Ouvertüre. Warum muß man diesen Vorspann bringen? Ich meine, jeder weiß doch wohl, in welcher Oper er gerade sitzt oder???? Na ja, der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf eine Bühne (Reinhard VON DER THANNEN), bei der man meint, daß jeden Moment das MDR-Fernsehballett reinschneien könnte (was aber nicht passierte, obwohl mich das teils auch nicht groß gewundert hätte...). Immer wieder taucht ein menschlicher Hund (in Gestalt von Lorenz EICHHORN) auf, der dem Pseudo-Pärchen Jaquino/Marzelline gehört, und mal mehr, mal weniger hundeartige Dinge macht. Wo ist der Sinn?

Man kann insgesamt eine große Diskrepanz zwischen dem ersten und zweiten Akt feststellen. Während der erste größtenteils vollkommen konfus und unverständlich wirkte (wozu die zahlreichen von Neuenfels eingebauten Komparsen auch beitrugen), war der zweite weitaus durchdachter. Den Einfall, daß Leonore und Florestan (der im Kerker noch rumspaziert und im Finale im Rollstuhl sitzt...) sich nach all den Jahren nicht mehr recht finden möchten, finde ich sehr gut. Auch die Anfangsszene des zweiten Aktes hat durchaus ihre Momente, die gefallen. Bei seinen Visionen läßt der Regisseur den jungen Florestan (gespielt von Martin LÜDERS) auftreten, etwas was man sicherlich noch besser hätte ausfeilen können.

Die Gestalt des Pizarro gefällt mir jedoch am besten. Hier ist er ein kleiner Charlie Chaplin-Verschnitt (die an Hitler gemahnende Sprache des Sprechers von ihm, Ingo HÜLSMANN, ergibt eine Anspielung an „Der große Diktator“) mit einem Napoleon-Hut. Er ist nicht der böse Machtmensch, sondern mehr oder weniger eine Marionette. Sehr amüsant wurde auch der Marsch vor seinem Auftritt mit einer sehr lustigen Choreographie des Chores. Die zum Bühnenbild und der Inszenierung passenden Kostüme lieferte ebenfalls Reinhard von der Thannen.

Alles in allem konnte mich die Neuinszenierung nicht überzeugen, ich zähle sie zu den schlechteren in Hamburg, und von mir aus kann sie auch bald wieder abgesetzt werden (aber bitte erst nachdem ich Inga Nielsen und Anne Schwanewilms als Leonore gesehen habe!).

Musikalisch war es eindeutig DER Abend von Falk STRUCKMANN. Es ist hochgradig angenehm im Fach des Heldenbaritons endlich mal einen echten SÄNGER zu hören und nicht jemanden, der sich durch die Partien durchdeklamiert. Er gibt nicht den Erzbösewicht, sondern eher einen hintergründigen Pizarro mit toller Phrasierungskunst. Eine großartige Leistung, was jedoch der Großteil des Publikums nicht so sah. Der Applaus für ihn war doch recht verhalten und ich meine auch, ein paar Buhrufer ausgemacht zu haben.

Der Rest der Besetzung konnte nicht derart überzeugen. Susan ANTHONY sang eine hauptsächlich souveräne Leonore. In der Höhe neigt sie zu einer unschönen Schärfe. Insgesamt war mir ihr Vortrag nicht dramatisch genug und packte mich nicht wirklich.

Einen wesentlich besseren Eindruck hatte ich von Hubert DELAMBOYE, der freilich kein klassischer Heldentenor ist, sondern eher ins Charakterfach tendiert. Aber hey, wie würden Sie denn klingen, wenn Sie so lange Zeit in einem finsteren Loch dahinvegetiert hätten??? Es verwunderte allerdings ein wenig, daß so jemand so wohl genährt aussieht und eine Glatze trägt... Immerhin bewältigte er die Rolle mit allem Anstand und gab dem Florestan auch einen gewissen verrückten Touch.

Hans-Peter KÖNIG sang einen soliden Rocco (vom Aussehen gemahnte er eher an Jochanaan...), der allerdings im „Mir ist so wunderbar“ blaß blieb. Jan BUCHWALD macht eine positive Entwicklung durch. Allerdings war mir sein Don Fernando nicht autoritär genug. Es klang mir alles zu sehr nach einem klassischem Lied. Ich denke, er muß noch ein wenig reifen. In der nächsten Saison hat er ja die eine oder andere Gelegenheit. Vor allem am Spiel sollte er noch etwas arbeiten, dann kann er u.U. ein guter Ensemble-Sänger werden. Die Stimme hat er dafür.

Aleksandra KURZAK sang mit schönem Sopran eine nette Marzelline. Christian BAUMGÄRTEL war ihr Jaquino, der nicht groß auffiel. Daß man für diese Rolle einen Gast engagieren muß, wenn man doch im Ensemble eigentlich zwei Sänger hat, die es mindestens genauso gut machen könnten (namentlich Michael Smallwood und Jürgen Sacher) konnte er nicht klarmachen. Die Gefangenen waren mit Ho-yoon CHUNG (erster) und Wilhelm SCHWINGHAMMER (zweiter) solide besetzt.

Ingo METZMACHER, der einen Monat vorher nahezu alle Dirigate am Haus abgesagt hat, stellte erneut unter Beweis, daß er eher einen ruhig dahinfließenden musikalischen Duktus bevorzugt. So arbeitete er auch hier v.a. die zarten Details aus der Partitur heraus und erwies sich einmal mehr als guter Sängerbegleiter. Das Blech bedarf jedoch einer Sonderprobe. Das kann man dem diesmal gut präpariertem CHOR (den nicht der Chorleiter Florian Csizmadia, sondern sein Assistent Tilman MICHAEL einstudierte!), nicht nachsagen. Der absolvierten seinen Part souverän.

Übrigens war es glaube meine erste Vorstellung, in der weder Hans Dammann noch Ekkehard Welz an der Pauke zu hören waren... WFS