„CARMEN“ - 17. Februar 2004

Bald 24 Jahre ist die Inszenierung nach Piero FAGGIONI alt. Sie hat ihren Reiz in der Schlichtheit der Ausstattung nach Ezio FRIGERIO, in der Klarheit der Kulissenformen. Man weiß jeweils, wo man sich befindet. Keine aufgetürmten Quader oder plakative Hintergrundbilder behindern Sicht oder Ansicht der Zuschauer.

Musikalisch zeigte sich der Abend durchwachsen, aber steigerungsfähig.

Das begann bei der musikalischen Leitung durch Lothar KOENIGS. Anfangs vermittelte sein Dirigat noch das Gefühl von solider, aber nicht sehr emotioneller Arbeit, doch das Vorspiel zum dritten Akt wurde dann unversehens zum orchestralen Höhepunkt, und die temperamentvolle Wiedergabe im vierten Aktes fernab von Folklorekitsch topte dies noch.

Eine ähnliche Steigerung widerfuhr der Carmen von Yvonne NAEF. Gesanglich von ersten Moment an erstklassig, fehlte ihr anfangs noch das Wilde, Temperamentvolle der Verführerin. In der Auseinandersetzung mit Don José im dritten Akt lief sie zur Höchstform auf, was sich im Schlußduett fulminant fortsetzte. Schade, daß die Künstlerin sich nicht traute, mehr tänzerischen Einsatz zu zeigen. Ihr Solo für José im zweiten Akt bewies nämlich, daß sie durchaus über entsprechendes Talent verfügt.

Danielle HALBWACHS war als Micaela eine Sensation. Ihrem schönen, gut geführten Sopran hätte man stundenlang zuhören können. Sie gestaltete die Figur als eine Carmen an Willenskraft ebenbürtige junge Frau, die entschlossen ihr Ziel, José (zurück-) zu gewinnen, verfolgte.

Als love interest beider Damen brüllte sich Alberto CUPIDO erwartungsgemäß durch die Partie. Sein Don José ist nicht besser als bei der letzten Begegnung vor einigen Jahren. Sicher, die lauten, hohen Töne saßen, doch sie waren zu laut, zu überzogen. Es fehlte jegliche Gesangskultur. Differenzierung schien ein Fremdwort, und man vermißte jede Rollencharakterisierung außerhalb von Händeringen.

Das einzige vom Tenor an diesem Abend versuchte Piano gelang in der Blumenarie übrigens sehr anständig. „Geht doch! Geht doch!“ wollte man da dem Künstler nach Manier eines aktuellen Werbespots zurufen.

Escamillo gehört wahrlich nicht zu meinen Lieblings-Baritonpartien. Das Prestige, wenn alles gelingt, ist sicherlich ungeheuer groß, doch das gilt ebenso für die Gefahr, daß etwas schiefgeht. Cheyne DAVIDSON schlug sich bei seinem ersten Auftritt wacker, konnte aber später wesentlich mehr überzeugen. Seine Stimme bestätigte den positiven Eindruck in Zürich vor gut drei Jahren. In der Darstellung vermißte man noch etwas Nonchalance.

Die Begegnungen mit Alexander TSYMBALYUK verlaufen immer erfreulicher. An diesem Abend war es insbesondere die gesangliche Leistung, wogegen sein Zuniga im Spiel noch ein wenig unbeholfen wirkte. George PETEAN war von meiner Begleitung mit allerhand Vorschußlorbeeren versehen worden. Und, in der Tat machte er aus der kurzen Rolle des Moralès sehr viel. Er war stets präsent, und sein Gesang weckte die Neugier auf seine größeren Partien.

Renate SPINGLER (Mercédès) und Ingrid FRØSETH (Frasquita) harmonierten sehr gut und lieferten eine beeindruckende Leistung im Kartenterzett. Wogegen Ho-yoon CHUNG (Remendado) und Christoph POHL (Dancairo) zwar darstellerisch überzeugen konnten, musikalisch aber eher am unteren Level rangierten.

Der CHOR leistete sich zwar die leider üblichen Aussetzer im ersten Akt, lieferte dann aber eine durchaus anständige Leistung ab, woran die Damen einen größeren Anteil hatten als die Herren.

Aus dem Orchestergraben hörte man vom PHILHARMONISCHEN ORCHESTER eine anfangs solide, schließlich sogar eine sehr engagierte Leistung (s.o.). Bedauerlicherweise schepperte es häufiger im Blech, was den positiven Eindruck etwas schmälerte.

Es war ein schöner Repertoireabend mit herausragenden solistischen Leistungen, der optimistisch stimmt, daß man demnächst wieder häufiger zuhause in die Oper gehen kann. AHS