DIE CAUSA SHICOFF ("Tosca" - 21. März 2004)

Hamburg ist eine glückliche Stadt, möchte man meinen, wenn man in die letzten Tagen die hiesigen Zeitungen durchblättert. Zwei „Tenöre der Weltklasse“ innerhalb einer Woche in der Stadt! (... und dazu noch Johannes Heesters... aber das gehört nicht hierher.) Die Musikhalle voll, die Staatsoper für zwei Vorstellungen ausverkauft.

Doch von Anfang an.

Die Inszenierung von Robert CARSEN aus dem Oktober 2000 ist wenig spektakulär (Theater auf dem Theater? Das habe ich doch neulich schon gesehen. – Bühnenbild und Kostüme: Anthony WARD). Nach den Sachen, die ich in der letzten Zeit auf der Bühne der Staatsoper gesehen habe, ist das allerdings schon sehr viel. Die Personenregie läuft nach dem Motto „Wer will und kann, der macht.“. Ansonsten fallen auch Rampenstehen oder sinnloses Herumgefuchtel nicht weiter auf.

Tosca als Callas, die Diva schlechthin, ist auch nicht neu. Peinlich nur, wenn es nicht funktioniert, weil die Tosca des Abends diesen Gedanken in ihrer Darstellung nicht transportieren kann. Dann bleibt nämlich nur ein Abziehbild, was Carol Vaness nicht nötig gehabt hätte.

Als ungenügend stellt sich dar, daß Carsen vergessen hat, daß ein Opernhaus nicht nur aus dem Parkett besteht. Entscheidende Szenen der Oper (z.B. Scarpias Auftritt) oder der Inszenierung (Tosca als Madonnenerscheinung im „TeDeum“) bleiben einem in den oberen Rängen einfach verborgen.

Wozu im Programm extra Davy CUNNINGHAM für das Lichtkonzept aufgeführt ist, bleibt unklar. Vielleicht ging es um die Spots, die mal zur richtigen Zeit den Sänger trafen, und ihn ein anderes Mal im Dunkel stehen ließen? Ich weiß es nicht.

Dem Dirigenten Frédéric CHASLIN entfällt hin und wieder, daß es bei einer Opernaufführung auch Sänger auf der Bühne stehen. Symphonisch gesehen kann man seine Leistung am Pult des PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTERs als solide bezeichnen, doch die Koordination zwischen Graben und Bühne war stellenweise katastrophal. Da geriet man allzuoft auseinander, oder die Orchesterwogen gerieten viel zu laut. Außerdem vermißte man eine gewisse Inspiration.

Carol VANESS war keine schlechte Tosca. Sie vermochte aber auch nicht, den Zuhörer von den Sitzen zu reißen. Vielleicht war sie diejenige, die unter dem Dirigat des Abends am meisten litt. Beim „Vissi d’arte“ kam es zu großen Diskrepanzen, die man der Unachtsamkeit Chaslins anlasten muß. Aber auch so hinterließ die Künstlerin ein unbefriedigendes Gefühl. Sie konnte sich weder gegen den extrovertierten Tenor noch gegenüber ihrem eigentlichen Gegenspieler wirklich durchsetzen.

Als Meister der wandlungsfähigen Rolleninterpretation zeichnete Lucio GALLO bei seinem – für mich dritten – Scarpia diesmal das Bild eines Dandys in gehobener Position. Vollendet gelang es ihm, die Balance zwischen dem Umschmeicheln Toscas, der obsessiv en Liebe zu ihr und dem grausamen Polizeichef Roms zu visualisieren. Seine musikalische Interpretation besitzt eine hohe Sicherheit, die ihn am diesem Abend besonders zugute kam. Weder die orchestralen Wogen im „TeDeum“, noch die weiteren Hürden aus dem Graben vermochten es, ihn aus der Bahn zu werfen.

Während Andreas HÖRL den mit Abstand schlechtesten Mesner ablieferte, den ich bisher gehört und gesehen haben, war der Angelotti von Alexander TSYMBALYUK exzellent gesungen. Seine Bühnenpräsenz ist weiter gewachsen, und so machte er aus der kurzen Partie eine gelungene Charakterstudie.

Der Spoletta von Frieder STRICKER weckte in mir Assoziationen an Erich Ponto. Scarpias Erfüllungsgehilfe als Beamtenseele im positiven Sinne. Moritz GOGG (Sciarrone) fiel mehr durch sein Spiel als durch seinen Gesang auf. Bei Rainer BÖDDEKER (Schließer) bewirkte dies nur die ausgefallene Uniform. Tamara GURA sang den Hirten mit einer achtbaren Leistung.

Und dann war da Neil SHICOFF. Der Tenor, der laut „Welt“ „gleichermaßen berühmt..., doch vielleicht nicht ganz so populär“ wie José Carreras ist, hinterließ als Cavaradossi einen zwiespältigen Eindruck. Er dient nicht der Kunst, sondern läßt sich vom Publikum hofieren. Legitim, vielleicht, aber es gab Cavaradossi schlicht nicht. An der Rampe und häufig nur da stand eben Neil Shicoff. Da war kein verliebter Maler mit revolutionären Ambitionen. Es fehlte die Tragik, das Leid und die Liebe (außer ein paar laut hingeschmatzten Küssen, die man bis zum vierten Rang hinauf hörte).

Vielleicht liegt hier der Unterschied zwischen „berühmt“ und „populär“. Carreras wird auch dafür geliebt, daß er sich in den Dienst der Rolle stellt, und dem Publikum die Gedanken und Gefühle der jeweiligen Person gut vermitteln kann.

Bei Neil Shicoff besteht eine tiefe Kluft zwischen eignem, oft geäußerten Anspruch und der abgelieferten Leistung. Es gab in der besuchten Vorstellung rhythmische Ungenauigkeiten, völlig unbekannte Textvariationen und sprachliche Undeutlichkeiten. Besonders anstrengend waren die überlang gehaltenen Töne, von denen die meisten nicht einmal schön gesungen waren.

Irgendwie war es also wie immer. Doch halt! Nicht ganz. Der Tenor psychelte an diesem Abend nicht. Vielleicht besitzt Cavaradossi keine Neurosen oder seelischen Deformierungen, die ausgelotet werden können. Vielleicht hat Herr Shicoff diesen Teil seiner Darstellung auch aufgegeben. Man wird sehen.

Im Oktober soll Neil Shicoff laut „Hamburger Abendblatt“ für Verdis „Ballo“ wieder an die Staatsoper kommen. AHS