D’OVÈ TOSCA, D’OVÈ CAVARADOSSI???

Sänger von Weltruhm sind an der Hamburgischen Staatsoper eher selten zu sehen (die letzte, der mir spontan einfällt ist Cheryl Studer vor einem Jahr in „Tannhäuser“), umso ausverkaufter sind dafür dann auch die Aufführungen. Diesmal gab sich Neil SHICOFF die Ehre, aber dazu später.

Die Produktion von Robert CARSEN aus dem Jahr 2000 haut mich immer noch nicht vom Hocker, dennoch ist sie durchaus akzeptabel. Man hat an diesem Haus schon wesentlich Schlimmeres erlebt. Mit der Zeit ist von der ehemals eh nicht spannenden Personenführung nicht mehr viel zu sehen, und die Lacher über den Mesner, der den Staub hinter den Vorhang auf der Bühne kehrt (es gibt ein Theater auf dem Theater im Bühnenbild von Anthony WARD, der auch die Kostüme entwarf), was man vom vierten Rang nicht sehen konnte, aber aus Erfahrung kenne ich das, und das „Vietato Fumare“, das im zweiten Akt an der Wand prangt (s.o.), was Scarpia ignoriert (so ein Fiesling!!!), werden auch immer angestrengter.

Die Titelpartie lag dieses Mal in der Hand von Carol VANESS, die diese Rolle eigentlich an allen Häusern der Welt singt (u.a. bei den beiden Abschiedsserien Pavarottis in Berlin und New York). Es ist kaum zu glauben, dass sie wirklich in der Met noch in der letzten Reihe zu hören sein kann (sie hat etwa doppelt so viele Sitzplätze wie Hamburg...). Sie ging mehr als einmal in der fiesen Orchestrierung Puccinis unter, was aber auch dem Dirigenten Frédéric CHASLIN zuzuschreiben ist. Insgesamt sang sie ganz nett, aber von einer Diva oder gar einer interessanten Interpretation war sie in meinen Augen meilenweit entfernt.

Der Grund für den Großteil des Publikums, diese Serie zu besuchen war mit Sicherheit Neil Shicoff. Ich kann das absolut nicht nachvollziehen! Was man zu hören und sehen bekommt, ist nicht der Maler und Revolutionär Mario Cavaradossi, sondern der Sänger und „Star“ Neil Shicoff. Er hatte sogar eigens einen schwarzen Anzug mitgebracht, der zwar perfekt saß, aber nicht wirklich zu der Rolle paßte. Stimmlich nervte er mich ziemlich schnell. Irgendwie klang er meistens sehr unfrei. Darstellerisch zeigte er zwar recht interessante Ansätze unter ziemlicher Ignoranz der Regieanweisungen, aber er hatte keine wirkliche Persönlichkeit, so dass sein Spiel zwischen aufdringlich (z.B. das lautstarke und penetrante Rumgeknutsche mit Vaness) und Rampensingen schwankte. Ich habe zwar schon wesentlich schlechtere Sänger in der Partie gehört, aber was an ihm so toll sein soll, weiß ich nicht. Er sagt zwar immer, daß er nicht selten emotionale Probleme wegen der Rollen hat, die er singt, das konnte er hier jedoch sehr sehr gut kaschieren...

Kommen wir zum positiven Teil der beiden Abende: Lucio GALLOs Scarpia! Von seinem energisch-infernalischen Auftritt bis zu seinem Tod vermochte er mit jeder Phrase zu packen. Er hat eine phänomenale Durchschlagskraft und eine tolle Stimme, die teils an den großen Piero Cappuccilli erinnert, auch von der Stimmführung her. Doch er verließ sich nicht nur allein auf diese, sondern bot ein ausgefeiltes Portrait, das zwischen dem Despoten, aber auch einem Menschen mit Gefühlen schwankt. Man merkt immer, dass er doch auch ein klein wenig Mitleid mit Tosca hat. Auch szenisch ist er ein absoluter Gewinn! Wie er in der zweiten Vorstellung das Bild von Tosca zerschneidet, macht einem Angst! Es bleibt zu wünschen, daß wir demnächst wieder eine Begegnung mit dieser Ausnahmeerscheinung, der bald sein Debüt als Holländer (!) geben wird, haben dürfen!

Bei den Wurzen stach Alexander TSYMBALYUK erneut mit einem ungemein präsenten Angelotti hervor, Moritz GOGG und Wilhelm SCHWINGHAMMER teilten sich den Sciarrone, ersterer vermochte stimmlich nicht zu überzeugen, letzterer zeigt ein gewisses ausbaufähiges Potential. Jonas OLOFSSON sang mit mittelprächtiger, dünner Stimme den Spoletta, ebenso wie Frieder STRICKER, dessen Stimme kaum noch als solche zu bezeichnen ist. Da ich die zweite Vorstellung nach dem zweiten Akt verließ, kann ich nur sagen, daß Tamara GURA in der ersten einen passablen Hirten und Rainer BÖDDEKER einen soliden Schließer sang. Der Mesner wurde Andreas HÖRL anvertraut, der die Rolle zu einer furchtbar lächerlichen Lachnummer degradierte. Zudem kam er mehr als einmal aus dem Takt, den er dazu noch sehr auffällig mitzählte.

Oper zu dirigieren, ist sicherlich mit die schwierigste Aufgabe für einen Dirigenten. Aber wenn man das nicht kann, dann soll man es halt lassen! Frédéric CHASLIN leitete die PHILHARMONIKER zwar solide (abgesehen von ein paar Wacklern), aber er nahm keinerlei Rücksicht auf die Sänger. Jeder war mehr oder weniger auf sich allein gestellt (Shicoff machte eh eigenes sein Ding...). Ständig liefen Bühne und Orchester auseinander – so nicht gerade jemand zugedeckt wurde. Die HAMBURGER ALSTERSPATZEN unter Jürgen LUHN absolvierten ihren Part sehr gut, und auch am CHOR des Hauses (Tilman MICHAEL) gibt es nicht viel zu meckern. WFS

P.S.: Eine kleine Anekdote am Rande: Der Beginn der zweiten Vorstellung verzögerte sich um etwa 20 Minuten, weil der erste Oboist fehlte. Sachen gibt’s...