„SCARPIA“, Oper in zwei Akten von Giacomo Puccini

Lucio GALLO rechtfertigt diesen Titel, denn, ohne sich absichtlich in den Vordergrund zu spielen, war dies der Abend von Scarpia. Es gibt diese Vorstellungen, an denen einem Sänger alles gelingt, an denen nicht nur die Gesamtleistung beeindruckt, sondern auch jede einzelne Phrase, jede Geste so perfekt sitzt, daß dem Zuschauer der Atem stockt. Gallo gehört zu den Sängern, bei dem selten eine Vorstellung der anderen gleicht, und so bot er bei seinem vierten von mir gesehenen Scarpia die vierte Interpretationsnuance.

Diesmal ließ sich sein Scarpia einer Raubkatze vergleichen, die mit ihrer Beute lustvoll noch ein wenig herumspielt, bevor sie sie verschlingt. Dazwischen gab es dann Momente („TeDeum“, „Sei mia“), in denen man an Scarpias geistiger Gesundheit zweifelt, weil plötzlich der Wahnsinn aufzulodern scheint. Die Stimme macht alle diese Nuancen mit, scheitert weder an den Orchesterwogen des „TeDeums“, noch an dem heuchlerisch-mitfühlendem oder schmeichelndem Tonfall oder dem drängendem Begehren. Dabei verläßt er nie die Linie, singt überaus genau. Hoffentlich läßt uns die Intendanz auf die Rückkehr dieses Sängers nicht wieder sechseinhalb Jahre warten...

Alexander TSYMBALYUK als Angelotti war an dieser außergewöhnlichen Leistung am nächsten dran. Der junge Baß mit dem beeindruckenden Material verbessert sich zusehends auch in punkto Phrasierung und Präsenz. Da wird es Zeit für größere Rollen.

Was sonst noch geschah...

Carol VANESS als Tosca konnte nicht wirklich vermitteln, warum Scarpia eigentlich so versessen auf sie ist. Im ersten Akt gab es Passagen, bei denen man sie in den oberen Rängen kaum hören konnte, das „Vissi d’arte“ wurde von ihr rhythmisch ungenau gesungen, und im Spiel war sie weder Diva noch große Liebende. Abgesehen von den genannten Punkten war sie gesanglich in Ordnung, aber die große Begeisterung konnte sie nicht wecken.

Die Auftritte von Neil SHICOFF wurden schon vorab in der Hamburger Presse groß angekündigt. Ein wirkliches Ereignis blieb jedoch aus. Neil Shicoff spielte Neil Shicoff, der einen Startenor spielt, welcher als Cavaradossi besetzt ist. So kann es wohl kaum zu einer wirklichen Interpretation der Rolle kommen. Im eigenen schwarzen Anzug läuft der Sänger relativ planlos über die Bühne, leistet sich gelegentlich merkwürdige Zuckungen und fällt ansonsten hauptsächlich dadurch auf, daß er seine Tosca ständig laut schmatzend küßt (also mich als Frau turnt das ziemlich ab...). Auch gesanglich hätte man anhand der Vorschußlorbeeren mehr erwarten dürfen als überlang und mit zuviel Vibrato gehaltene Spitzentöne, undeutliche Aussprache und rhythmische Eigenheiten. Es gibt sicherlich schlechtere Besetzungen für den Cavaradossi, aber es gibt auch zahlreiche bessere.

Von den kleineren Rollen fiel insbesondere Andreas HÖRL als Mesner extrem negativ auf. Gleichförmig, ohne jeden Ausdruck, dafür aber mit Hang zum Schleppen und sicht- und hörbarem Mitzählens quälte der Sänger sich durch die kurze Partie. Jonas OLOFFSON als Spoletta blieb völlig unauffällig, Wilhelm SCHWINGHAMMER als Sciarrone konnte ein wenig mehr in Erinnerung bleiben. Wir sind dann nach dem zweiten Akt gegangen.

Frédéric CHASLINs Leitung des Abends setzte keine großen Akzente, dafür schaffte er es an diesem Abend, etwas mehr Rücksicht auf die Sänger zu nehmen, deckte sie nur in Ausnahmefällen zu und hielt Graben und Bühne einigermaßen zusammen. Ein aufregendes Dirigat ist allerdings etwas anderes. PHILHAROMIKER und CHOR erledigten sich ihrer Aufgaben fehlerlos.

Robert CARSENs Produktion in der Ausstattung von Anthony WARD wird auch beim wiederholten Betrachten weder schöner noch nachvollziehbarer. Aber es gibt im Hamburger Repertoire weit größere Aufreger. MK

P.S.: Eine Bitte an alle Shicoff-Fans... Bitte schickt keine mails mit „In der ‚Jüdin’/im ‚Grimes’/im ‚Billy Budd’/als Hoffmann ist er aber gut.“, was komischerweise der übliche Satz ist, den man zu hören bekommt, wenn einem Neil Shicoff nicht gefallen hat. Es mag sein, daß Shicoff in den oben genannten Rollen gut ist, aber hier sang er keine dieser Rollen, und dem Cavaradossi wurde er nun einmal nicht gerecht.