IDEALBESETZUNG ÜBER IDEALBESETZUNG

Die Titelpartie in Strauss’ kongenial-brutaler Oper „Elektra“ adäquat zu besetzen, ist eine kaum zu bewältigende Aufgabe. Stellt sie doch immense Anforderungen an die Sängerin. Nicht nur, daß sie mit Ausnahme der ersten fünf Minuten unentwegt auf der Bühne steht (und einen beträchtlichen Teil davon zu singen hat), nein auch die vokalen Aufgaben sind ziemlich heftig. Die Tessitura reicht von mezzosopranesken Tiefen bis in die Vollhöhe, bei vollem Wagnerklangapparat mit teils fettem Blech.

Bisher war es mir vergönnt, in dieser Rolle zwei großartige, schwer zu erreichende Interpretinnen zu erleben: Zum einen Eva Marton, die trotz ihres Alters eine grandiose Atridentochter sang. Zum anderen die Hamburger Kammersängerin Gabriele SCHNAUT, die jüngst für zwei Aufführungen wieder in den hohen Norden kam und ein wahres blutrünstiges Feuerwerk abbrannte. Sie durchmißt die Rolle mit einer faszinierenden Intensität und Bühnenpräsenz, daß es einem regelrecht Angst machte. Sie konnte auch gut überspielen, daß sie stimmlich nicht mehr ganz auf der Höhe ist (die Vollhöhe erreichte sie eigentlich gar nicht mehr...). Sie hat zwar ein klassisch hochdramatisches Instrument (mit einer unglaublichen Tiefe!), das ich bei vielen anderen Sängerinnen nicht leiden kann, aber sie kann es auch wundervoll im piano führen. Vielleicht hätte sie beizeiten mehr lyrische Sachen machen soll (wie z.B. erwähnte Eva Marton), denn die Partien, auf die sie sich zunehmend spezialisiert hat (Elektra, Brünnhilde, Isolde, Färberin, Turandot) lassen die Stimme auf Dauer verhärten. Es wäre auch denkbar und sehr reizvoll, daß sie in absehbarer Zeit mal einen Fachwechsel in Erwägung zieht (Richtung Charakterfach), allerdings hat ein solches in einem Interview mit dem „Orpheus“ ja leider erst mal ausgeschlossen...

Die andere weiblichen Hauptrollen waren ihr absolut ebenbürtig besetzt! Da war Inga NIELSEN (sie sang sich wie zu hören war mit Koloraturen ein...), die mit st(r)ahlkräftigem Sopran eine grandiose Chrysothemis sang, die wirklich zu Herzen ging. Gleiches gilt für Hanna SCHWARZ (Klytämnestra). Sie stellte eine alte gebrochene Frau auf die Bühne und beeindruckte mit ihrem dramatischen Alt. Sie ist nicht etwa eine, die nur an sich und Aegisth denkt, sondern der die ganze Geschichte echt an die Nieren geht, so z.B. wenn sie erfährt, dass Orest tot ist, und sie nicht in ekstatischen Jubel ausbricht, sondern wirklich verzweifelt ist. Dazu kam, daß alle drei Damen eine großartige Ensembleleistung ablieferten – na ja, in dieser Konstellation sind sie ja öfters zu hören...

In den „Hauptnebenrollen“ gab Markus BRÜCK als Orest sein solides, aber nicht weiter auffallendes Hausdebüt, wohingegen Günter NEUMANN ein köstliches Portrait von Aegisth lieferte. Es ist ein Jammer, daß dem Mann eine größere Karriere nicht vergönnt war!!!

Wilhelm SCHWINGHAMMER blieb als Pfleger des Orest unauffällig, ebenso wie Gisela WEINTRITT und Corinna MEYER-ESCHE (Vertraute und Schleppträgerin). Peter GALLIARD (junger Diener), der im „Falstaff“ auf mich einen positiveren Eindruck hinterlassen hatte, offenbarte wieder mal Intonationsprobleme, war aber rhythmisch perfekt. Das Hamburger Urgestein Carl SCHULTZ (müßte stramm auf die 70 zugehen!!!) sang den alten Diener. Katja PIEWECK war eine herrische Aufseherin, und unter den Mägden gilt es, in erster Linie Yvi JÄNICKE (wann wird sie ENDLICH entdeckt?????) und Michaela LUCAS (zweite und dritte) hervorzuheben, die beide sehr intensiv sangen, während Susanne SOMMER und Melanie MAENNL (erste und vierte) recht blaß blieben, und Adriane QUEIROZ als fünfte im Bunde zu flackerig war.

Einen positiven Eindruck auf mich machte Friedemann LAYER am Pult der gut disponierten HAMBURGER PHILHARMONIKER. Zwar gab es den einen oder anderen leicht verwackelten Einsatz, und die eine oder andere langsame Stelle könnte etwas mehr Feuer vertragen, aber alles in allem, denke ich, daß er ein ausbaufähiger Dirigent ist. Er schaffte es doch mit dem einen oder anderen Akkord im letzten Teil mir einen kalten Schauer den Rücken hinunterzujagen. Ich hoffe, daß man ihn in Zukunft öfter am Haus hören wird.

Zu der mittlerweile auch schon mehr als 30 Jahre alten August EVERDING-Regie (Ausstattung: Andreas MAJEWSKI) ist eigentlich wenig zu sagen. Ich finde sie hauptsächlich langweilig.

Ich freue mich jedenfalls schon wahnsinnig auf die „Salome“-Serie im nächsten Jahr, wenn dann Nielsen, Neumann und Schwarz in der tollen Decker-Inszenierung zu erleben sein werden!!! WFS