"IL TURCO IN ITALIA" - 2. Oktober 2005

Die Produktion von Christof LOY ist etwas über ein halbes Jahr alt. Merkwürdigerweise wirkt sie jetzt lebendiger als in der Premierenserie, und auch die sich in Zeitlupe bewegenden Figuren im Hintergrund fallen nicht mehr auf die Nerven (lag es an mir, oder sind diese weniger aufdringlich als zuvor?).

Die Produktion gewinnt deutlich durch die Neubesetzung der Titelrolle. Neu-Ensemblemitglied Tim MIRFIN gibt dem Selim, was diesem zuvor fehlte: Sex-Appeal, weltmännisches Auftreten und trotz machohafter Attitüde ausreichend Charme, um das Geschehen glaubhaft zu machen. Die Stimme ist koloraturgewandt, keine Riesenröhre, und der junge Baß weiß etwas mit seinen Mitteln anzufangen, indem er je nach Situation passende Klangfarben zusammenmischt.

Renato GIROLAMI war schon im März ein brillanter tadellos singender Don Geronio mit zungenbrecherisch schnellem parlando, doch er scheint sich noch einmal gesteigert zu haben. Der malträtierte Ehemann hat nunmehr zusätzlich auch noch eine fast tragische Seite und bleibt nicht nur Witzfigur. Man hat mit ihm ebensoviel Mitleid wie mit dem Prosdocimo von Jan BUCHWALD, der im Laufe des Abends immer weitere Verletzungen mit sich herumtragen darf. Der Bariton wirkt insbesondere in den Rezitativen ausgesprochen präsent und weist hier mit einer Textbehandlung auf, die man eigentlich nur von Muttersprachlern erwartet. Trotz seines körperlichen Umfanges ist er nicht nur stimmlich überaus beweglich.

Neu besetzt war die Partie der Fiorilla mit Aleksandra KURZAK, die mit blitzsauberen Koloraturen und sexy Auftreten auffiel. In ihrer großen Arie verausgabte sie sich fast vollständig; hätte diese noch länger gedauert, hätte man um die Reserven der Sängerin fürchten müssen. Auch wenn soviel Einsatz nicht ungefährlich ist, nötigt er Respekt ab. Ihre Rivalin Zaida (Tamara GURA) ist nach wie vor ein reizendes Wesen, dem man die Temperamentsausbrüche erst gar nicht zutraut, und erfreut mit nicht großem, aber gut geführten Mezzo.

Im Gegensatz zum restlichen Ensemble fielen die beiden Tenöre etwas ab. Mario ZEFFIRI (Don Narciso) sang seine Partie durchaus geschmackvoll, aber seine Höhen waren teilweise arg grell, auch wenn sie erreicht wurden. Auch gelang es ihm nicht, als jugendlicher Aufreißertyp so in Erinnerung zu bleiben, wie es sein Rollenvorgänger tat. Ho-yoon CHUNG als Albazar blieb ausgesprochen unauffällig, auch seine Stimme blieb nicht haften.

Im Orchestergraben stellte sich ein kleines Wunder ein. Waren Vorstellungen des italienischen Repertoires zum großen Teil zuletzt bestenfalls nicht sehr aufregend dirigiert, holte Walter ATTANASI aus dem PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTER, das ohne jeden Tadel war, plötzlich einen luftig-leichten Rossini heraus, mit viel Brio und geradezu überschäumendem Temperament. Immer sängerfreundlich bleibend gelang es ihm auch, den kleinen Aussetzer im Finale des ersten Aktes auf der Bühne schnellstmöglich einzufangen.

Auch der CHOR (Leitung Tilman MICHAEL) war im Gegensatz zur Premierenserie fehlerfrei und engagiert.

Sollte es tatsächlich möglich sein, die Schlampereien von vielen Jahren im italienischen Fach dauerhaft zu beseitigen? Das wäre mehr als erfreulich. MK