"PIQUE DAME" - 14. Oktober 2005

Es macht mir ehrlich gesagt ein bißchen Angst. Nach mehr als einem Jahr konsequenter Abstinenz habe ich in den letzten sechs Wochen vier Vorstellungen an der Hamburgischen Staatsoper besucht, und bin nach jeder mit einem sehr zufriedenen Gefühl nach Hause gegangen.

Nach "La Traviata" und "Rigoletto" gab es nun Tschaikowskys "Pique Dame" in der ca. zwei Jahre alten Inszenierung von Willy DECKER. Deren markanteste Nachteile sind nach wie vor die farbliche Tristesse (vorherrschende Farbtöne: schwarz, grau, weiß) und die partielle Dunkelheit auf der Bühne (Bühnenbild: Wolfgang GUSSMANN), die es mit der Zeit immer schwerer machen, der Handlung konzentriert zu folgen. Das ist schade, denn der Regisseur hat großen Wert auf die zwischenmenschlichen Beziehungen, nicht allein zwischen Lisa und Hermann, sondern generell zwischen den verschiedenen Gruppen des Stücks gelegt, so daß die Oper wie ein Kammerspiel wirkt.

Dreh- und Angelpunkt von Stück und Inszenierung ist Hermann, der hin- und hergerissen zwischen seinem Wahn, die drei unfehlbaren Karten kennen zu wollen, und seiner Liebe zu Lisa langsam seinen Sinn für die Realität verliert. Robert Dean SMITH gelang die Verkörperung der komplexen Figur ungemein gut. Der Tenor verfügt sowohl über die Kraft, sich in dieser Partie vokal zu behaupten, wenn dies notwendig ist, besitzt aber auch die sängerische Intelligenz für die leisen Töne, sobald diese gefragt sind.

Die Besetzung der Lisa mit Elena PROKINA war dazu kongenial. Die Künstlerin zeigt ihre Figur nicht als das stille, für sich leidende und seufzende Mädchen, sondern als Person mit eigenem, emanzipierten Willen, als entschlossene Frau im Pushkin'schem Sinn, deren Zweifel an Hermanns Lauterkeit erst aufkommen, als es bereits zu spät ist. Zu dieser ausgeprägten Darstellung kam eine ausgezeichnete musikalische Umsetzung, die zeigte, welch großartige Sopranstimmen in unserer Zeit jenseits der massenkonformen Kommerzialisierung existieren.

Dem Tomsky von Egils SILINS fehlt mir persönlich ein wenig das Draufgängertum. Seine Sichtweise ist vielleicht ein wenig zu eindimensional ausgelegt. Gesanglich gab es ganz sicher nichts auszusetzen, und doch fehlte mir etwas, daß ich nur schwer in Worte fassen kann. Den Fürsten Jeletzky mit dem neuen Ensemblemitglied Pavel BARANSKY zu besetzen, war ein cleverer Schachzug. Der Bariton zeigte ein für die eigentliche Größe der Rolle eine sehr ausgefeilte Darstellung und verfügt über schönes Material, aus dem sich bestimmt noch etwas mehr herauskitzeln ließ, wenn der Sänger sich in seiner Arie weniger angestrengt darauf konzentrieren würde, es unbedingt richtig machen zu wollen. Es ist eigentlich alles da. Immerhin gelingt es ihm, den Zuschauer zum Hinterfragen von Lisas Entscheidung für Hermann zu bringen.

Die Figur der Gräfin leidet unter der Besetzung mit Olive FREDRICKS. Man erwartet von in dieser Partie nicht unbedingt jemanden mit einer makellos intakten Stimme, aber über eine beeindruckende Bühnenpersönlichkeit sollte die betreffende Sängerin wenigstens verfügen. So verpufften leider musikalische wie szenische Effekte.

Wie man mit einer kleinen Rolle Staat macht, zeigte Tamara GURA, deren quirlige Pauline schon wegen ihrer bereits sehr interessanten und individuellen Stimme im Mittelpunkt stand. Alexander TSYMBALYUKs Baß hat sich, seit ich ihn das letzte Mal gehört habe, an Umfang und Klangfülle in etwa verdoppelt. Sein Surin hat zwar keine Chance im Neumeierschen Ensemble aufgenommen zu werden, aber man möchte auf ihn auf der Hamburger Opernbühne ohnehin nicht mehr verzichten. Benjamin HULETT als Czekalinsky mit ausgesprochen schönen Tenor, Frieder STRICKER (Tschaplitzky) und Wilhelm SCHWINGHAMMER (Narumoff) ergänzten das Ensemble mit viel Sinn für darstellerische Lebendigkeit.

Zum großen Teil erfreulich war bei der Aufführung in russischer Sprache die Sprachbehandlung der Nicht-Muttersprachler unter den Solisten. Leider waren die Übertitel an diesem Abend nicht so gut in Form.

Zudem hatte der CHOR (Leitung: Florian CSIZMADIA) keinen besonders guten Abend. Die Diktion litt ohnehin, doch es kamen auch musikalische Ungenauigkeiten, die in einer gewissen Unkonzentriertheit zu liegen schienen.

Die HAMBURGER PHILHARMONIKER boten erneut einen ausgezeichnet musizierten Abend, bei dem nur das Blech hin und wieder etwas zu laut geriet. Dies ist auch der einzigste Kritikpunkt an György G. RÁTH, der ansonsten eine lupenreine Tschaikowsky-Interpretation mit viel Seele und Virtuosität aus dem Graben zauberte. AHS

P.S. an MK: Tpu kapmu!