"TOSCA" - 22. und 28. Dezember 2005

Oberflächlich betrachtet mag "Tosca" nicht so recht viel mit der besinnlichen Weihnachtszeit zu tun zu haben, aber weit gefehlt. Näher besehen hat diese Oper viel damit zu tun: Zunächst einmal spielt sie in Rom. Der erste Akt spielt in einer Kirche, es gibt ein Gebet und ein Te Deum, im zweiten Akt gar erduldet ein Mensch Höllenqualen für eine gute Sachen (Stichwort: Nächstenliebe) und stirbt dabei sogar (hm, vielleicht doch eher Ostern...). Und daß in der Bibel nicht gestorben wird, wäre mir auch neu... Außerdem stehen auf Scarpias Tisch Kerzen.

Ob das nun der Grund war, "Tosca" in Hamburg zu dieser Zeit auf den Spielplan zu setzen, weiß und glaube ich nicht, und es ist mir auch egal. Hauptsache, es ist gut besetzt. Und das war es!!! Da kann man auch über die nicht wirklich erhellende Inszenierung von Robert CARSEN (Ausstattung: Anthony WARD) hinwegsehen, die einfach nicht besser werden will. Eine nähere Besprechung kann meinen beiden vorigen Kritiken im Archiv entnommen werden...

Für den erkrankten Nicola Rossi Giordano sprang Zwetan MICHAILOV als Cavaradossi ein, der mich nicht wirklich überzeugen konnte. Zwar war er besser als so gut wie alle seine hiesigen Rollenvorgänger, reichte aber nicht über das Attribut solide hinaus. Dieses verließ er jedoch immer genau dann, wenn er meinte, etwas Dramatisches aus der Rolle machen zu müssen, was stets gewollt klang. Ich hatte der Öfteren den Eindruck, daß er seine für das Fach eigentlich zu grobe Stimme nicht richtig unter Kontrolle hatte. Dazu kam eine leichte Unsicherheit im rhythmischen Bereich. Außerdem sahen in beiden Vorstellungen die Augen, die er im dritten Akt an die Wand malt, sehr seltsam aus: In der ersten war es so groß, daß es selbst King Kong Angst gemacht hätte, in der zweiten erinnerte es mich eher an eine Straßenlaterne, die von einem gebogenen Mast hängt und ein Vogel mit einer öffentlichen Flugtier-Bedürfnis-Anstalt verwechselt hat...

Wesentlich besser war es um die anderen Protagonisten bestellt. So sang Paoletta MARROCU eine hervorragende Tosca. Zwar ist ihre Stimme für meinen Geschmack gelegentlich vielleicht etwas zu sehr abgedunkelt, was zu sehr tief klingenden Tonansätzen und leichten Vokalverfärbungen führt, dafür lieferte sie ein mehr als überzeugendes Rollenportrait ab. Sie gab im ersten Akt eine wundervolle Diva, die ihre Reize bewußt, aber nicht zu aufdringlich einsetzt, so daß es niemals übertrieben wirkt. Im zweiten hingegen gibt sie sich teilweise nahezu unterwürfig gegenüber Scarpia, um im dritten dann wieder zur Erst-Akt-Tosca zurückzukehren.

Dieser wurde von Lucio GALLO mit geradewegs einschüchternder Intensitiät und Rollenidentifikation gegeben. Er vermag es tatsächlich, die Rolle so plastisch zu gestalten, daß man meint, Scarpia persönlich steht auf der Bühne! Dabei versteift er sich aber nicht nur auf den total bösen Polizei-Chef, sondern läßt viel Platz für Zwischentöne. Und spielen tut er mit einer Grandezza, die ihresgleichen sucht. Er bleibt selbst in den Wutausbrüchen charmant, fast "gentlemanesk". Dazu kommt noch eine prachtvolle Stimme! Kurios ist allerdings, daß in der ersten Hälfte vom "Te Deum" in beiden Vorstellungen nur sein Unterleib vom Scheinwerfer beschienen wurde...

Unter den Comprimarii stachen erneut die beiden Bässe Alexander TSYMBALYUK als ungemein präsenter Angelotti und Tigran MARTINOSSIAN als interessanter Sagrestano hervor. Während ich mir ersteren schon in den großen Rollen vorstellen kann, sollte letzterer sich langsam an die großen herantasten und sich noch mit den kleineren ein wenig frei singen. Frieder STRICKER gab mit schneidendem und alles andere als schönem Tenor den Spoletta. Ryszard KALUS (Sciarrone) blieb, wenn man ihn mal hörte, blaß. Rainer BÖDDEKER und Jürgen STAHL teilten sich an beiden Abenden den Schließer. Der Hirt wurde von einem Mitglied der Hamburger Alsterspatzen gesungen.

Großartiges gibt es auch erneut aus dem Orchestergraben zu vermelden, wo György G. RATH dem sehr gut aufgelegten PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTER HAMBURG zahlreiche Nuancen entlockte, wie man sie bei einem Gastdirigenten, der bislang noch nicht viel mit diesem Klangkörper gearbeitet hat, kaum erwarten möchte. Es waren diese mehr oder weniger kleinen Tempoverzögerungen, die diese Oper so lebendig erschienen ließen, dazu kam eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit, so daß sowohl die komischen zu Beginn, als auch die dramatischen Passagen wie aus einem Guß klangen. Auch kleine Abweichungen einzelner Solisten (v.a. Michailov) wurden sicher eingefangen. Der Haus-CHOR unter Tilman MICHAEL absolvierte den kurzen Part souverän, ebenso wie die HAMBURGER ALSTERSPATZEN unter Jürgen LUHN. WFS

P.S.: Nebenbei bemerkt war für mich persönlich die erste Aufführung auch eine besondere - nämlich meine insgesamt 200.