„ANGELS IN AMERICA“ - 26. Juni 2005

Hamburg gönnt sich die Deutsche Erstaufführung von Peter Eötvös’ Oper „Angels in America“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Tony Kushner (die Verfilmung war zu Pfingsten als Miniserie in der ARD zu sehen, immerhin mit Al Pacino, Meryl Streep und Emma Thompson). Für Hamburg hat der Komponist extra eine eigene Fassung erstellt; worin sich diese allerdings von der beispielsweise in Paris gezeigten unterscheidet, verschweigt das Programmheft.

Das Stück wurde von Mari Mezei in ein Libretto umgearbeitet, wobei die meisten Texte sich wörtlich bereits im Stück finden. Das Stück mußte allerdings deutlich komprimiert werden, und so wird aus der Geschichte von fünf schwulen Männern sowie der Ehefrau und der Mutter eines von ihnen plus diversen Engelserscheinungen die Geschichte des aidskranken Prior Walter, während der Rest der Figuren Staffage bleibt. Daß dabei viele spannende Momente und politische Fragen auf der Strecke bleiben, läßt sich wohl nicht vermeiden, ist aber nichts desto trotz schade.

Die Musik von Eötvös hat größtenteils untermalenden Charakter, sie spiegelt meist in tonaler Führung die Gefühle der Figuren wider, teilweise sogar an der Grenze zum Musical mit Jazzelementen, aber ein wirklich eigenständiges Profil vermochte ich nicht zu entdecken. So stört sie nicht, bleibt aber auch nicht in deutlicher Erinnerung. Zum großen Teil ergehen sich die Sänger in Sprechgesang, nur gelegentlich verfallen sie in wirkliches Singen.

Die Inszenierung von Benedikt VON PETER, die auf der Probebühne und nicht im großen Haus gezeigt wurde, hat einige gute Ideen (der Fernsehbildschirm, den Harper Pitt mit sich herumschleppt, der Auftritt des Engels durch die Decke), aber es gibt auch Momente, die nicht überzeugen. Wenn die Engel der verschiedenen Erdteile alle als fette, weiße Männer in Badehosen dargestellt werden, macht es Sinn, daß die Engel sich längst von allem abgewandt haben – nur warum ist dann der Engel Americana eine schöne Frau? Selbst wenn dies nur eine Verkleidung ist, wäre es dann nicht überzeugender gewesen, wenn dieser Engel die Verkleidung abgelegt und sich zu den anderen gesellt hätte? So fragte man sich unweigerlich, weswegen hat Amerika einen hübschen Engel, während alle anderen Erdteile diese alten Fettwänste bekommen haben?

Die Bühne ist leer, Saskia ZSCHOCH (auch Kostüme) kommt mit wenigen Requisiten aus. Da die Sänger alle über starke Präsenz verfügen, reicht die leere Bühne vollauf. Auf Dauer enerviert allerdings der ständige Schneefall, der schon vor Vorstellungsbeginn anfängt.

Gesungen wird in englischer Sprache, es gibt deutsche Übertitel. Allerdings werden diese gerade dann durch die Lichtverhältnisse (Licht Bernd GRUBE) schwer lesbar, wenn der Engel in höchsten Sopranhöhen singt, und der Text naturgemäß auch für Zuhörer, die des Englischen mächtig sind, kaum zu verstehen ist.

Doch was sich an diesem Abend wirklich gelohnt hat, ist die musikalische Umsetzung, auch wenn das Orchester nicht im gleichen Raum war und gemäß Wunsch den Komponisten mit Mikrophonen gesungen wird.

Bei den Sängern ist als erstes James BOBBY als Prior Walter zu nennen, der sich in keiner einzigen Sekunde schont, sich geradezu wund singt und spielt und damit versöhnt, daß die anderen Figuren eher stiefmütterlich behandelt wurden. Er ist fast die gesamte Oper auf der Bühne, als Einziger ist er auch nicht noch als Engel zu erleben. Die absolute Hingabe an seine Rolle ließ den Wunsch wach werden, ihn auch einmal ohne elektronische Verstärkung und in einer klassischen Rolle zu hören.

Daß Renate SPINGLER auch der Song-Stil liegt, war spätestens seit dem Weill-Abend vor einigen Jahren bekannt. Sie geht hier völlig in der valiumsüchtigen, von Halluzinationen Harper Pitt auf, sie wirkt sehr jung, während sie in ihrer zweiten Rolle als Ethel Rosenberg sich nicht so profilieren kann; bis sie dann Roy Cohn mit einem jiddischen Lied in den Tod begleiten darf.

Ich habe mit Countertenören offen gestanden so meine Probleme. Brian ASAWA hat hier jedoch viel zu meiner diesbezüglichen „Genesung“ beigetragen. Als Belize und Mr. Lies ist er ausgesprochen überzeugend. Ein echtes Kabinettsstückchen leistet er sich als obdachlose Frau in einem Zelt, wo er mit mehreren unterschiedlichen Stimmen den Eindruck erweckt, das Zelt sei von mehreren Personen bevölkert – oder von einem schwer Schizophrenen.

Julia SUKMANOVA ist als Engel ausstaffiert wie ein kitschiger Rauschgoldchristbaumschmuck und schaut daher ausgesprochen süßlich aus. Sie singt, von gelegentlichen Schärfen abgesehen, die einzige Rolle, die tatsächlich permanent singt und nicht meist spricht, tadellos.

Anna STEIGER überzeugt als Hannah Pitt, Rabbi und Arzt Henry eher als Type, denn auf der gesanglichen Seite. Mit Jonas OLOFSSON konnte ich bisher im großen Haus nichts anfangen, zu neutral und zu dünn klang dort häufig seine Stimme. Als Louis entwickelt er auf einmal Präsenz in Stimme und Darstellung, auch wenn man ihm den New Yorker Juden äußerlich nicht sofort abnehmen mag.

Joseph Pitt wurde von Christoph POHL ohne Probleme gesungen, diese Figur wurde allerdings von den Kürzungen besonders hart getroffen, so daß ihm wenig Gelegenheit zur Profilierung verblieb. Tomas MÖWES zeichnete Roy Cohn als eine Art mächtiges Kasperl, was einer Figur, die immerhin für amerikanische Liberale so eine Art fleischgewordener Teufel darstellt, nicht gerecht wurde. Stimmlich ist allerdings nichts zu bemängeln.

Cornelius MEISTER leitete den Abend unterstützt von Co-Dirigent Alexander WINTERSON und Klangregisseur Marcus HERZOG ohne Wackler oder Ausstiege, was in Anbetracht der Tatsache, daß sich das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER HAMBURG sieben Stockwerke höher im Gebäude befand und von dort via Lautsprecher eingespielt wurde, während der Dirigent sich auf der Probebühne befand, gar nicht hoch genug bewertet werden kann. Das Vokalterzett Ingrid FROSETH; Susanne SOMMER und Martin BERNER, als eine Art Minichor geführt, untermalt fehlerfrei. MK

P.S.: Der Verkauf der sogenannten „Treppenkarten“ kann nur als Ärgernis bezeichnet werden. Diese wurden in der besuchten Vorstellung fünfzehn Minuten vor Vorstellungsbeginn verkauft. Als ich versuchte, am 30. Juni 2005 ein zweites Mal zu gehen, waren diese Karten 45 Minuten vor Vorstellungsbeginn ausverkauft. Eine einheitliche Behandlung wäre sicherlich im Sinne des Publikums... Die Auskunft, das liege im Ermessen des Mitarbeiters, der die Abendkasse führe, kann nicht befriedigen.