MITREIßEND

Was Gustav Mahler seinerzeit an den Gedichten von Achim von Arnim und Clemens Brentano fand, werde ich wohl nie verstehen. Irgendwie bleibt mir ihr Inhalt und der tiefere Sinn verschlossen. Dafür gefällt mir die Musik umso besser. Schon, wenn sie so präsentiert wird wie in diesem Konzert...

Mit Michael VOLLE stand ein von mir in höchstem Maße geschätzter Künstler auf dem Podium. Gesungen hat er „Rheinlegendchen“, „Der Tambourg’sell“, „Lob des hohen Verstandes“, „Das irdische Leben“, „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ und „Revelge“. Volle traf bei jedem Lied dessen ganz spezifischen Charakter und zeigte sich somit einmal mehr als äußerst wandelbarer Künstler. So sang er ein sehr humorvolles „Lob des hohen Verstandes“, das fast zu spontanem Szenenapplaus des (nicht unbedingt zahlreich erschienenen) Publikums geführt hätte – was an dieser Stelle auch nicht sehr schlimm gewesen wäre.

Auf der anderen Seite zeigte Volle dann aber auch seinen Sinn für die dramatische Melancholie des „Tamboug’sell“, dem er eine große Intensität gab, gipfelnd in einem packenden „Gute Nacht“, das er im Forte begann und dann langsam ins Pianissimo glitt, um dann in der finalen Repetition dieser Phrase, mit ersticktem Ton zu ergreifen.

Glücklicherweise stand an diesem Abend mit Alan GILBERT am Pult des NDR-SINFONIEORCHESTERs ein ebenso großer Künstler zur Verfügung, der sich als sehr kompetenter Sängerbegleiter präsentierte und sich aber nicht das Wasser abgraben ließ, so daß es zu einer regelrechten Verschmelzung zwischen dem Orchester und Volle kam.

Der zweite Teil stand im Zeichen des mir (und vermutlich vielen anderen) bis dato völlig unbekannten Mahler-Zeitgenossen Hans Rott (1858-1884), der bereits im Alter von 26 Jahren in einem Irrenhaus seinen letzten Atemzug tat. Es wurde seine 1. Sinfonie gespielt, die er zwischen seinem 21. und 23. Lebensjahr schrieb, und die erst 1989 zur Uraufführung gelangte. Sie klingt streckenweise (gerade im 1. Satz) sehr nach Wagner. Alles in allem war Rott für mich eine echte Entdeckung, wenngleich ich finde, daß er vielleicht innerhalb der Sätze etwas stringenter bei einem Grundton hätte bleiben sollen, da sich die Sätze untereinander ein wenig ähnelten.

Jedenfalls spielte auch hier das Orchester fehlerfrei, sehr homogen, sehr präzise und fiel zu keiner Stelle jemals auch nur annähernd auseinander (lediglich bei dem gruppenweisen Erheben zwecks Applaus-Entgegennahme kam es zu Koordinationsschwächen zwischen dem Klangapparat und Gilbert...). Ein großes Lob geht an die Bläser und deren Solisten Jeroen BERWAERTS (Trompete) und Claudia STRENKERT (Horn), die den hohen Anforderungen insbes. des zweiten Teils vollauf gerecht und dementsprechend mit viel Beifall bedacht wurden. Selbst im Piano gab es nicht mal den kleinsten Kiekser! WFS