"IDOMENEO, RE DI CRETA" - 3. Juni 2006

Ein bißchen der Wurm drinnen war in dieser letzten Vorstellung der Premierenserie schon, so daß Operndirektor Josef Hussek sich gezwungen sah, gleich drei Ansagen zu machen (zwei vor Beginn, eine nach der Pause). Die Sängerin der Ilia ließ sich nach der Pause ansagen, zuvor wurde angekündigt, daß die Sängerin des Idamante einspringen mußte und Dirigentin Julia Jones wegen einer Lebensmittelvergiftung kurzfristig durch den Studienleiter ersetzt werden mußte.

Die Kritiken für diese Produktion waren durch die Bank schlecht, was mir übertrieben erscheint. Es ist sicherlich nicht die Regie des Jahres, die Nicolas BRIEGER hier abgeliefert hat, und ganz sicher gibt es Punkte, über die man diskutieren kann, ob sie wirklich sein müssen. Ob Ilia wie auch die anderen trojanischen Frauen im Tschador herumlaufen müssen, ob das Ungeheuer als Selbstmordattentäter daher kommt, die Szene Idomeneo/Arbace Assoziationen an Harpo Marx vor dem Spiegel ("Duck Soup") weckt, oder die Einblendungen von tanzenden Paaren und Staatsakten im Finale wirklich sinnvoll ist, darüber kann man streiten. Für mich überzeugend waren beispielsweise die gefangenen Trojaner à la Guantanamo festzuhalten, oder der Selbstmord Elettras als Feierlichkeit störender Faktor, der von den meisten Anwesenden ignoriert wird, vergleichbar einem peinlichen Auftritt eines stockbetrunkenen Gastes.

Worüber man nicht streiten kann, ist die Tatsache, daß bei der Personenregie Brieger sehr präzise gearbeitet hat. Wenn Idomeneo fast schüchtern und sanft versucht, Ilia zu umwerben, und sie ihn in ebenso solcher Weise zurückweist, Elettra sich Idamante geradezu an den Hals wirft und, als das fehlschlägt, zum Alkohol greift, oder wenn Idamante und Ilia am Schluß sich wie zwei ängstliche Kinder aneinander klammern, denkbar schlecht auf ihre Aufgabe vorbereitet, ist das sehr nachvollziehbar. Auf den gelegentlich in persona über die Bühne laufenden Nettuno (Rainer WOLKE) hätte man dagegen verzichten können. Gegen das Einheitsbühnenbild von Hans-Dieter SCHAAL kann man ebensowenig sagen wie gegen die Kostüme von Jorge JARA.

Die Sänger hatten jeder an irgendeiner Stelle mit Problemen zu kämpfen, doch insgesamt muß man dem Ensemble großes Lob zollen für die Vehemenz und den Einsatz, mit der sie ihre Rollen verkörperten. Sie waren absolut präsent und vor allem darstellerisch hundertprozentig überzeugend.

In der Titelrolle kehrte das frühere Ensemblemitglied Kurt STREIT nach Hamburg zurück. Die Stimme ist vor allem in der tieferen und mittleren Lage im Gegensatz zu früher riesig geworden, oben allerdings ist sie relativ schlank geblieben. Der Sänger nutzt dies sehr intelligent, denn er unterstreicht dadurch die Verzweiflung des Königs zusätzlich noch. Maite BEAUMONT als teenagerhafter Idamante ist sowohl stimmlich als auch darstellerisch überaus beweglich, singt wie aus einem Guß und verfügt auch noch über ein angenehmes Timbre. Schade, daß sie Hamburg zum Saisonende verläßt.

Trotz Ansage war es nicht nötig, mit Inga KALNAs Ilia Nachsicht zu üben. Mit klaren, sauberen Klang machte sie deutlich, wie zerrissen sie zwischen Liebe, Trauer und Rachewünschen ist, wobei auch der Gegensatz zur furienhaften Elettra von Hellen KWON schön gearbeitet war. Hellen Kwon überzeugte in der letzten Zeit vor allem bei Mozart (Fiordiligi, Konstanze), so auch hier. Ein paar nicht ganz sichere Töne verderben den Gesamteindruck nicht.

Benjamin HULETT war als Arbace ein wenig gehandicapt durch die Regie, die versuchte, aus ihm einen etwas trotteligen Agitator (falls es so was geben kann) zu machen, aber machte jedoch das Beste daraus und sang seine Arie mit faszinierendem Ausdruck. Ho-yoon CHUNG durfte als Gran Sacerdote seine Forderungen aus einer Loge des ersten Ranges singen, was als Idee mehr beeindruckte als sein Gesang. Tigran MARTIROSSIAN verlieh als Stimme den Worten des Deus ex machina-Effektes höchsten Nachdruck.

Unter den gegebenen Umständen schlug sich Studienleiter Alexander WINTERSON mehr als wacker. Es gab einige der Situation geschuldete minimale Wackler im ersten Akt, insbesondere bei der Begleitung der ebenfalls eingesprungenen Maite Beaumont, doch ansonsten dirigierte Winterson einen straffen Mozart und ließ keine Langeweile aufkommen. Die PHILHARMONIKER HAMBURG blieben fehlerfrei und schienen hochkonzentriert, wie auch der CHOR (Leitung Tilman MICHAEL), der zudem engagiert spielte. Die Soli Bettina RÖSEL, Daniela KAPPEL, Seong-Woog CHOI, Milan Mischo KRAVAR, Annegret GERSCHLER und Ines KREBS machten ihre Sache gut.

Nach meinem Eindruck ist die Produktion besser als ihr Ruf; ich werde nächste Saison sicherlich ein zweites Mal gehen. MK