"BILLY BUDD" - 20. April 2007

Die Inszenierung von Simon PHILLIPS und speziell die Bühnenbilder von Es DEVLIN erscheinen zunächst reichlich rätselhaft. Da hängen, wie schon in Phillips' letzter Britten-Produktion "Midsummer Night's Dream" Stühle und sonstige Möbel vom Schnürboden herunter, stehen zahllose Kommoden, wo eigentlich ein Schiffsdeck sein sollte. Es ist unvermeidlich, das einem hierzu diverse Albernheiten in den Sinn kommen. Doch nach einigen Minuten beginnt sich ein Theaterwunder zu entwickeln. Die Stühle und Kommoden werden einem gleichgültig, denn die Personenregie wirkt plötzlich so dicht, so packend, daß es auch nicht auffallen würde, wenn noch absurdere Dinge hinabhingen. Die Schiffsatmosphäre ist da, ohne daß es tatsächlich ein Schiff gibt (die meisten Schiffe auf der Bühne sind eh für Hafenstädter eher lächerlich).

Es Devlins Kostüme belassen das Stück in der Zeit, die das Libretto vorgibt (sehr präzise der Modewechsel in Captain Veres Kleidung und Haartracht zwischen Prolog/Epilog und der Rückblende). Die Lichteffekte (Nick SCHLIEPER) sind beeindruckend, weniger beeindruckend und tatsächlich verzichtbar waren die Videoeinspielungen, die auch schon im "Midsumnmer Night's Dream" in ähnlicher Form zu sehen waren (Steff UNGERER, Mike WILSON).

Kann es eine homogenere Besetzung für dieses Stück geben als hier? Da kann man anfangen mit Nmon FORD als Billy mit einer Physis, die nicht nur die Herren an Bord der "Indomitable" fasziniert haben dürfte. Die Baritonstimme an sich ist nicht außergewöhnlich, doch der Sänger weiß jede Sekunde, was er damit tun kann, läßt staunen mit einer Beweglichkeit, die eher Tänzern zu eigen ist, und ist schlichtweg immer da. Während seiner großen Soloszene herrschte im Haus absolute Stille, niemand wagte zu husten oder sich auch nur hörbar zu bewegen, einige Zuschauer dürften sogar das Atmen kurzzeitig vergessen haben. Ein größeres Kompliment kann man einem Sänger kaum machen.

Man kann fortsetzen mit dem Captain Vere von Timothy ROBINSON, ist als Darsteller unbeschreiblich intensiv, dessen Zwiespalt, dessen Einsamkeit, der er unterliegt, aber auch dessen kaum sich selbst eingestandene Zuneigung zu Billy in jeder Sekunde spürbar ist, ohne daß er viel tun muß, Allein schon mit der Körperhaltung kann dieser Sänger unglaublich viel ausdrücken. Da ist es nur marginal, daß einige Höhen ein wenig grell erklangen.

Peter ROSE schließlich als Claggart bleibt zunächst relativ zurückhaltend, macht so deutlich, weswegen Billy meint, der Master at Arms sei ihm wohlgesonnen, und läßt alles in seinem Solo aus sich herausbrechen, aus jeder einzelne Note ist unterdrücktes und in Haß gewandeltes Begehren zu spüren. Ich habe etwas für Bösewichte übrig, aber dieser war mir so unheimlich, daß ich froh war, als Billy ihn niederschlug...

Die Staatsoper hat für die zahlreichen kleineren Rollen das Beste aufgefahren, was sie an Herren zu bieten hat. So schaffen es Benjamin HULETT (Novice), Alexander TSYMBALYUK (Novice's friend und First Mate), Conal COAD (Dansker), Jürgen SACHER (Squeak) und Pavel BARANSKY (Mr. Flint) trotz kurzer Auftritte oder kleinerer Gelegenheiten zur Profilierung, als Figuren ein starker Erinnerung zu bleiben.

Die weiteren Sänger Moritz GOGG (Mr. Redburn), Carsten WITTMOSER (Lt. Radcliffe), George PETEAN (Donald), Jun-Sang HAN (Maintop), Hee-Saup YOON (Second Mate), Steven Dorn GIFFORD (Arthur Jones) und Ryszard Kalus (Bosun) halten den hohen Standard, selbst Peter GALLIARD als Red Whiskers fällt nicht wesentlich ab.

Der Chor unter Florian CSIZMADIA sowie die ALSTERSPATZEN unter Jürgen LUHN fügten sich auf diesem hohen Niveau ohne weiteres ein.

Simone YOUNG läßt am Pult der fehlerfrei und sehr animiert aufspielenden PHILHARMONIKER das Meer erklingen. Man glaubt, jede Woge, jede Böe einzeln zu hören, selbst der Nebel wird hörbar. Man merkt, daß speziell dieser Britten ihr eine Herzensangelegenheit zu sein scheint.

Allein schon diese Leistung läßt einen (neben allem anderen) jubeln, daß die Dirigentin ihren Vertrag bis 2015 vorzeitig verlängert hat. MK