PHILHARMONISCHES KONZERT - 16. März 2009

Haydn, Messiaen und Mahler standen auf dem Programm der PHILHARMONIKER HAMBURG (wie das hanseatisch steife "Philharmonische Staatsorchester" seit dem Amtsantritt von Simone Young heißt); eine auf den ersten Blick sehr zusammenhanglose Mischung, deren thematischen Bezug man freilich über den Begriff "Endlichkeit" herstellen kann.

1957 entdeckte der Musikwissenschaftler H.C. Robbins Landon eine bisher unbekannte Solokantate Haydns in den Beständen der Library of Congress in Washington. Komponiert irgendwann zwischen 1780 und 1790 erzählt "Miseri noi, misera patria" von den Schrecken des Krieges, von Tod und Verwüstung. Das fast schon apokalyptische Schreckensszenario des Textes von Pietro Metastasio kommt musikalisch allerdings nicht recht zur Geltung, der Aufbau mit Orchestereinleitung, Rezitativ und Arie mit langsamem Beginn und Allegro-Schlußteil bleibt im üblichen Rahmen, wobei der Sängerin technisch allein durch die weitgespannte Tessitura schon allerhand abverlangt wird.

Und das den Gegebenheiten von Schloß Estherházy entsprechende Orchester (Flöte, zwei Oboen, zwei Fagotte, zwei Hörner und Streicher) wirkt ausgesprochen der Konvention verhaftet, was durch die Ausführung noch verstärkt wurde, denn Simone YOUNG frönte hier einem Haydn-Klangbild, das eigentlich schon Jahrzehnte passé ist - romantisch kompakt als "Einheitssoße", in der einzelne Instrumente nicht mehr auszumachen sind. Erfreulicherweise zeigte sich Miah PERSSON davon herzlich unbeeindruckt. Ihr leuchtender Sopran setzte sich mühelos durch, technisch perfekt in den Koloraturen und mit erstaunlich klangvoller Tiefe.

Auch Olivier Messiaens "Couleurs de la cité céleste" hat etwas mit der Apokalypse zu tun, aber nicht mit ihren Schrecken sondern mit dem "danach", dem himmlischen Jerusalem. Der tiefgläubige Katholik Messiaen setzt in dem für seine Verhältnisse kurzen Werk (etwa achtzehn Minuten) diese "Couleurs" sehr direkt um, die Partitur enthält direkte Farbangaben zu einzelnen Stellen wie "saphirblau" oder amethystviolett". Das klingt platt, ist aber eigentlich kein Wunder bei einem Mann, der von sich sagte "wenn ich Klänge höre, sehe ich geistig Farben".

Einen Hörer, der weder den religiösen Zugang noch die Fähigkeit des "Farbenhörens" besitzt, dürfte vor allem die rhythmische Vielfalt des mit Blechbläsern, drei Klarinetten, großem Schlagwerk und Solo-Klavier ungewöhnlich besetzten Werkes faszinieren, auch wenn ich nicht weiß, ob ich in dieser vielfach grellen, kalt klingen Stadt wirklich leben möchte. Cédric TIBERGHIEN bewältigte den enorm schwierigen Klavierpart problemlos ohne - stückbedingt - wirklich glänzen zu können, und die Bläser und Schlagzeuger der Philharmoniker konnten beweisen was sie können. Dirigentisch sind hier Schlagtechnik und strukturelles Organisationstalent gefragt. Beides besitzt Simone Young zweifellos.

Daß sie auch einen Sinn für klangliche Delikatesse hat, demonstrierte sie nach der Pause bei der 4. Symphonie von Gustav Mahler, in der sie gerade in den ersten beiden Sätzen ein bis in die letzten Verästelungen der solistischen Stimmen durchhörbares Klangbild erstehen ließ. So vergnüglich humorvoll zwitschern und kichern habe ich Streicher und Holzbläser kaum je gehört (da zeigten die Philharmoniker endgültig, wie enorm gut sie sein können, wenn sie wollen). Es mag ein bißchen zu detailverliebt und ohne genügend ironischen Biss gewesen sein - aber es war musikantisch bis in die Fingerspitzen. Für den tragischen Unterton sorgte der 3. Satz, klug aufgebaut in den Steigerungen und mit einer phänomenalen Ruhe des Beginns. Und bei den "himmlischen Freuden" gesellte sich Miah Perssons heller Sopran dazu, mit deutlich kleinerem Volumen als bei Haydn mehr in den Orchesterklang integriert denn als Solo-Stimme - und leider im Gegensatz zum Haydn ziemlich textunverständlich. Hartmut Kühnel