"ATTILA" - 31. Mai, 6., 13. und 19. Juni 2009

In der Reihe "opera rara" erwählte Simone Young in dieser Spielzeit Verdis (wohl spätestes) Frühwerk "Attila" rund um den mörderischen Hunnenkönig. Die Oper entstand direkt vor dem "Macbeth", und die Unterschiede sind doch signifikant. Zwischen diesen beiden Werken hat sich Verdi offensichtlich extrem weiterentwickelt, wozu jedoch gesagt werden muß, daß die erste Version vom "Macbeth" noch nicht so ganz einheitlich ist wie die finale Version aus dem Jahre 1865.

"Attila" ist ein Stück, das man auch mal gut nebenher hören kann. Es bietet zahlreiche Cabaletten und einige musikalische Perlen, die jedoch ab und an so wirken, als wären grandiose Einfälle Verdis willkürlich aneinandergereiht worden. Die Entwicklung zu einem der größten Opernkomponisten ist aber schon zu erahnen.

Die Präsentation wurde zwar als konzertant deklariert, es standen allerdings nicht die Sänger in klassischer Weise vor dem Orchester, sondern, das Orchester saß im Graben, während die Sänger auf der mit einer Harfe, zwei Stühlen und dem Chor im Hintergrund bestückten Bühne in Frack, bzw. Abendkleid mehr oder weniger agierten (ohne Noten vor der Nase - sehr angenehm!).

Simone YOUNG wählte am Pult der HAMBURGER PHILHARMONIKER mal wieder sehr gewagte Tempi, mit denen die Protagonisten und das Orchester von Aufführung zu Aufführung besser zurecht kamen. Sie erwies sich erneut als grandiose Sängerbegleiterin. Jedoch hat mir persönlich das letzte marginale Quentchen noch gefehlt. Der CHOR unter Florian CZISMADIA präsentierte sich hervorragend.

Sängerisch wurde eine phänomenale Besetzung aufgeboten, die besser kaum hätte sein können. Roberto SCANDIUZZI gelang ein sehr differenziertes Portrait der Titelpartie. Er machte den Wahnsinn, aber auch die Verletzlichkeit der Figur förmlich greifbar - und niemand schreckt so schön aus dem (Bühnen-)Schlaf auf wie er. Er schaffte es zudem, mit seinem großen Baß, dessen Vibrato ich bei einem weniger engagiert singenden Sänger vermutlich bemäkeln würde, auch das Publikum zu begeistern.

Der ihm ebenbürtige Bariton Franco VASSALLO gab mit dem Ezio sein Hamburg-Debüt und konnte mit einem sehr ebenmäßigen, runden Verdi-Bariton vom ersten Auftritt für sich einzunehmen. Er hatte das sprichwörtliche Messer nicht zwischen den Zähnen, wohl aber hinter seinem Rücken... Ich hoffe, daß man von ihm hier noch mehr hören wird. Eine große Karriere braucht man ihm ja nicht mehr zu wünschen, singt er doch schon regelmäßig auf den großen Bühnen - höchstens ein wenig mehr Popularität.

Michèle CRIDER gab eine fulminante Odabella, deren gewaltiges Organ perfekt zu der Rolle passte. Aber sie ist nicht nur jemand für die dramatischen Passagen, sondern zeigte auch im Arioso, was für eine Piano- und Phrasierungskultur sie ihr Eigen nennt. Die minimale Indisposition in der B-Premiere legte sich in den folgenden Aufführungen wieder. Ein Buhruf für sie in der Premiere sei nur der Vollständigkeit halber angemerkt.

Von den Protagonisten fiel Giuseppe GIPALIs Foresto - als Einspringer für Miroslav Dvorsky - sowohl in stimmlicher, als auch in darstellerischer Sicht sehr stark ab. Er sang zwar sehr kultiviert und auch sonst ohne Fehl und Tadel, aber machte überhaupt nichts aus der Rolle. Zudem habe ich schon Zimmerpalmen gesehen, die sich mehr bewegt haben und mehr Ausdruck hatten...

Jun-Sang HAN machte mit seinem Uldino einmal mehr nachhaltig auf sich aufmerksam - auch wenn er mal nicht fünf Meter von der Decke auf einem Stuhl baumelt oder aus einer Loge singt. Vermutlich wäre er der bessere Foresto gewesen. Alexander TSYMBALYUK (Leone) heimste mit seinen vier Zeilen und einem Ensemble-Einsatz erneut sehr viel Beifall ein. Interessant wäre sicherlich ein Alternieren mit Scandiuzzi gewesen. Es ist Zeit für die ganz großen Rollen!

Daß es in der nächsten Spielzeit im gleichen Rahmen "Andrea Chénier" gibt, freut mich zwar außerordentlich, aber m. E. würde eine szenische Produktion diesem Stück gut tun, zumal es dann auch über mehrere Spielzeiten gespielt werden könnte (und das evtl. mit einer mich mehr ansprechenden Besetzung...). Eine Wiederaufnahme des "Attila" wäre jedoch auch sehr wünschenswert, wie ebenfalls die durchweg positiven Reaktionen des Publikums zeigten, die sicherlich nicht nur den Akteuren galten. WFS