"AIDA" - 2. Juni 2010

Wer in den frühen siebziger Jahren eine Repertoireaufführung der "Aida" besuchte, der konnte mit etwas Glück neben Gaststars wie Martina Arroyo, Leontyne Price und Flaviano Labo, Grace Bumbry oder dem Ensemblemitglied (!) Placido Domingo auch Martti Talvela als Ramphis UND Kurt Moll als König hören. Die Neuproduktion 1980 brachte - neben einer missglückten Inszenierung - das wunderbar durchhörbare Dirigat von Giuseppe Sinopoli und mit Arroyo/Obraztsova/Cossutta/Wixell eine glanzvolle Besetzung. Die Inszenierung durch John Dew 1993 glückte ebenfalls nicht recht und bot sängerisch deutlich weniger, als wir es bis dahin gewohnt waren.

Und nun also zum viertenmal "Aida" in vierzig Jahren, wobei man zum einen über die permanente Ideenlosigkeit der Intendanz im Normalrepertoire nur den Kopf schütteln kann (hier werden vornehmlich Stücke erneut aufgelegt, die es ohnehin immer wieder gegeben hat), und zum anderen leider feststellen muß, daß die Angelegenheit in diesem Fall auch noch so überflüssig wie ein Kropf ist, weil weder szenisch noch musikalisch Überzeugendes stattfindet.

Regisseur Guy JOOSTEN hat alles pseudoägyptische Brimborium verbannt und sich auf die Dreiecksgeschichte Aida-Radames-Amneris und ihr Verhältnis zum gesellschaftlichen Umfeld konzentriert. Soweit - so gut; nur leider gelingen ihm kaum zwingende Momente. Das vielfach weit nach hinten geöffnete Bühnenbild von Johannes LEIACKER wird drei Akte lang von einem großen Bett als Sinnbild des Privaten dominiert. Zum Vorspiel treiben es Aida und Radames vermutlich unter dem Laken, die Optik entspricht allerdings eher der kindlichen Vorstellung eines Nachtgespenstes. Die von Beginn an alkoholkranke Amneris (wenn man sauer ist, zeigt sich das durch Gläserschmeissen) nutzt es zu Beginn des zweiten Aktes zwecks Manifestierung ihres Anspruchs und irgendwann läuft jeder mal (vorzugsweise in Schuhen) darauf herum, womit die möglicherweise brauchbare Idee in der Beliebigkeit versandet. Obendrein erweist sich die Lagerstatt bei den Massenszenen als ausgesprochen hinderlich.

Der erste Auftritt von König und Chor wird irgendwo links in die Ecke verbannt und verpufft wirkungslos. Und das sich zwangsläufig vorzugsweise dahinter gruppierende Finale II ist in seiner Mischung aus Heimkehrerglück und trauernden Witwen der Gefallenen zwar als Ansatz gut, wirkt aber leider ebenfalls wenig stringent in der Personenführung. Wirkung zeitigt eigentlich nur der 4. Akt. Die unter der allgegenwärtigen Oberaufsicht des als eine Art Militärbischof gewandeten Ramfis (Kostüme Jorge JARA) stattfindende Auseinandersetzung zwischen Radames und Amneris erscheint dramatischer als der ganze Rest. Und das letzte Bild, ein sich in die scheinbare Unendlichkeit verlierender, hoher weißer Gang ist schon optisch ausgesprochen eindrucksvoll. Und auch die Idee, Amneris dort als Dritte neben dem Liebespaar ihr Leben mittels Gift aushauchen zu lassen. überzeugt.

Überzeugend sind hier auch die Sänger, denn Latonia MOORE (Aida) und Franco FARINA (Radames) gestalten die Schlußszene sehr differenziert und mit etlichen wundervollen Pianissimi in der Höhe, bei denen man beim Tenor überlegt, ob er nicht besser im lyrischeren Fach geblieben wäre, da das Organ zuvor erst ab dem 3. Akt die nötige Attacke und den dramatischen Kern in der Höhe vorzuweisen hat. Vor der Pause klingt es doch häufig auf Durchkommen gesungen, ausdrucksarm, dynamisch kaum variabel und in der Intonation mehr als einmal unsicher. Leider macht letzteres Problem auch Latonia Moore die ersten zwei Akte erheblich zu schaffen, was schade ist, weil sie nicht nur über eine wirklich großkalibrige Verdi-Stimme verfügt, sondern diese auch variabel einzusetzen versucht. Wirklich erfolgreich ist sie damit allerdings erst im 2. Teil, die Nilarie hat Linie und ein sicheres C, und in den nachfolgenden beiden Duetten ist sie ihren Partnern an schierer Stimmpracht glatt überlegen.

In puncto Gesangskultur ist ihr Andrzej DOBBER (Amonasro) allerdings mindestens gleichwertig. Das ist technisch und stilistisch grundsolide und erfreulicherweise ohne die in der Rolle so häufig zu hörenden Kraftakte gesungen, Verdi wie er sein sollte - und an diesem Abend oft genug nicht ist, da gleich zwei Partien an der rein stimmlichen Überforderung ihrer Sänger scheitern.

Der Ramfis von Diogenes RANDES klingt viel zu leichtgewichtig und hell, um die nötige Autorität zu vermitteln; und Laura BRIOLI singt die Amneris zwar in Cossotto-Manier mit möglichst breiter Stimmführung und hochgezogenem Brustregister, besitzt aber nicht das Organ, um damit an einem großen Haus zu reüssieren. Es klingt nur einförmig und kleinformatig. Wilhelm SCHWINGHAMMER ist der unauffällig ordentliche König, und auch Jun-Sang HAN (Bote) und Kari POSTMA (Priesterin) reihen sich dort ein.

Zusammengehalten wurde das Ganze mehr oder - häufig - weniger von Carlo MONTANARO, dem ich nach dieser unpräzise durchgehudelten Vorstellung möglichst nicht wieder begegnen möchte. Schon das schwammig klingende Vorspiel ließ keine Freude aufkommen, was danach kam war in seiner oft genug sinnlosen, über klangliche Delikatessen und dramatische Steigerungen gleichermaßen achtlos hinweggehenden Schnelligkeit, zu der sich im ORCHESTER immer wieder einmal merkwürdig harmoniefremde Töne gesellten, schlicht ärgerlich. Der dirigierenden Intendantin ins Stammbuch: das Niveau eines Hauses bemißt sich auch danach, wen man bei "fremddirigierten" Premieren neben sich duldet.... Kein Wunder, daß auch der Chor, der ja merkwürdigerweise meist dann gut singt, wenn er auch szenisch gefordert wird, unter den Umständen deutlich unter Niveau blieb. HK