"BLISS" - 12. September 2010

Nun hat sie die Oper also doch noch dirigieren können....

2001 hatte Simone Young als Chefin in Sydney den Kompositionsauftrag an ihren Landsmann Brett Dean vergeben, zur Uraufführung dort war es aber erst im Frühjahr 2010 - sieben Jahre nach dem vorzeitigen Abgang von Frau Young - gekommen, wobei das Projekt infolge diverser Umstände vor Ort wohl zwischenzeitlich kurz vor dem Scheitern gestanden hatte.

Wenn also schon nicht die UA, dann wenigstens die deutsche Erstaufführung, die im bei solchen Gelegenheiten wie üblich nicht ausverkauften Hamburger Haus mit einhelligem Beifall aufgenommen wurde. Der war vor allem für die musikalisch ausführende Seite voll gerechtfertigt; bei der Szene würde ich doch einige Einschränkungen machen - und die Begeisterung für das Stück als solches kann ich leider für mich nicht nachvollziehen...

Das Libretto von Amanda Holden basiert auf dem 1981 erschienenen gleichnamigen Roman von Peter Carey, in dem dieser u. a. eigene Erfahrungen aus der Werbebranche verarbeitete. Erzählt wird die Geschichte von Harry Joy, der bei der Jubiläumsfeier seiner Werbeagentur einen Herzinfarkt erleidet und danach aus der Nahtod-Erfahrung heraus die Dinge sieht, wie sie wirklich sind; die Frau hat einen Liebhaber, die Kids nehmen bzw. dealen mit Drogen, der Hauptkunde produziert Krebs-Förderndes - es wirkt wie eine Mischung aus dem Buch Hiob, einem Drama von John Osborne und Murphy's Law. Um dem zu entgehen, bestellt Harry sich ein Callgirl namens Honey B., das neben seinem horizontalen Nebenjob als Imkerin arbeitet (nomen est omen) und Harrys Leben total verändert, so sehr, daß er beschließt "to be good", eine Aufgabe, in die er sich mit einer moralinsauren Intensität stürzt, als sei das Libretto ebenfalls von B. (nicht Honey, sondern Bertold). Und irgendwie paßt die Musik über weite Strecken genau darauf, Kurt Weill läßt grüßen.

Brett Dean, der 15 Jahre lang als Bratscher bei den Berliner Philharmoniker gespielt hat, ist sicher auch aus dieser Erfahrung heraus ein glänzender Instrumentator und stilistisch quer durch die Zeiten sowohl in der E- als auch der U-Musik zuhause, die Übergänge verwischen. Das Ergebnis ist besonders im ersten Teil aber auf Dauer relativ einförmig, eine zwar in den Klangfarben variable, aber harmonisch nicht wirklich interessante rhythmische Dauerhektik, in der sich die Gesangslinie oft genug eher beiläufig verliert; zu einer guten Oper fehlt es an wirklichen musikalischen Gegensätzen, für ein gutes Songspiel mangelt es an Prägnanz.

Das wird ab dem zweiten Akt besser, die Musik setzt Ruhepunkte, es gibt den einen oder anderen ganz altmodischen Ensemblesatz, bei dem die Stimmführung plötzlich aufhorchen läßt, weil sie als für das menschliche Organ geschrieben erscheint und nicht nur der Textunterbringung dient; besonders die beiden Sopran-Hauptrollen bekommen so neben aller Schwierigkeit auch ein paar dankbare Aufgaben, Richard Strauss läßt grüßen. Aber insgesamt hätten den etwa 150 Minuten ein paar kräftige Striche doch gut getan - die Oper hat Längen...

Regisseur Ramin GRAY hat dem Satz vom "elephant in the room" (eine unübersehbare Wahrheit, die aber keiner ausspricht) quasi als Leitmotiv genommen und sich von Ausstatterin Lizzie CLACHAN eine elefantenreiche Bühne bauen lassen. Ein Auge des großen Grauen blickt schon vor Beginn vom Bildschirm, der Rahmen des heimischen Hauses der Familie Joy ist im entsprechenden Format etc. Was darin stattfindet, ist zweifellos handwerklich sauber gearbeitet, auch die vielen Verwandlungen klappen problemlos, aber vor allem dem ersten Akt fehlt die satirische Schärfe, mit der das geballte Unglück wieder erträglich wäre; es wirkt unentschlossen, als ob Gray sich nicht zwischen Ernst und wirklich schräger Überzeichnung habe entscheiden können. In der Irrenhaus-Szene des 3. Aktes ist dann auch mal wieder der obligate zivilisatorische Müllberg dran, und am Ende sitzt Harry in einer Art Wabe inmitten desselben neben seiner à la Biene Maja gekleideten Honey und anscheinend noch ein paar Bienchen mehr. Es bleibt offen, ob er damit sein Glück gefunden hat oder nur einen neuen Job als Drohne. Am ehesten hängen geblieben ist bei mir die Szene im 2. Akt, in der Harry mit Nigel Clunes, dem Product Manager der Firma, die er aus moralischen Gründen von der Liste seiner Kunden streicht, ein wirklich ernsthaftes Gespräch führt. Da werden bei Gray plötzlich aus Typen mehrdimensionale Menschen - aber vielleicht liegt es auch an der Szene selbst, die für mich die stärkste des Stücks ist.

Wolfgang KOCH holte aus der Mammutpartie (noch ein Elefant...) des Harry Joy das vermutlich Optimale heraus; mit unermüdlichem Einsatz und ebensolchen Stimmbändern schuf er eine Figur, die jederzeit präsent war, obwohl gerade ihr die musikalische Einprägsamkeit abging - letztlich ein Sieg über die Rolle, der ohne die eminente Ausstrahlung kaum möglich gewesen wäre.

Ehefrau und Geliebte waren mit zwei koreanischen Sängerinnen besetzt, was purer Zufall war und nicht im Libretto vorgesehen, ansonsten hätte man darüber sinnieren können, warum Männer immer wieder beim selben Typ Frau landen... Hellen KWON demonstrierte als ellenbogenstarke, karrierebewusste Ehefrau, daß sie erfolgreich im Charakterfach angekommen ist ohne deswegen nun gleich stimmlich mildernde Umstände beantragen zu müssen. Das Organ klang ausgesprochen kraftvoll, die Höhen kamen sicher - nur die gesungene Sprache (englisch) habe ich erst mit Verspätung eruieren können. Ha Young LEE (Honey B.) lieferte mit silbrigem Timbre und schönen Bögen den nötigen Kontrast dazu und machte obendrein als Erscheinung verstehen, warum Harry sie mehr als nur nett findet.

Alle anderen Rollen sind mehr oder weniger Episode, für mich ein zusätzliches Problem des Stücks, weil die kaleidoskopartige Aneinanderreihung der Szenen den Zusammenhalt zusätzlich erschwert. Andererseits aber auch Gelegenheit für das gesammelte Ensemble, sich in zum Teil mehreren Chargen ordentlich austoben zu können, wobei hier ob der Menge Figuren nur einige stellvertretend erwähnt seien. Peter GALLIARD brillierte als italienischer Restaurantbesitzer und nachdenklicher Firmenmanager mit zwei derart unterschiedlichen Portraits, daß man kaum geneigt war, beide nur einem Sänger zuzuordnen. Renate SPINGLER durfte als herrische Irrenhaus-Chefin im Maggie-Thatcher-Look ordentlich auf die Tube drücken und Gabriele ROSSMANITH und Maria MARKINA hatten einen wundervollen Kurzauftritt als lästernde Krankenschwestern. Alle sind offenbar mit Spaß bei der Sache, und auch rein vokal gibt es rein gar nichts zu meckern.

Im Graben hielt Simone YOUNG die Fäden souverän in der Hand (soweit sich das bei einem Stück, das man das erstemal hört, sagen läßt) und auch die PHILHARMONIKER scheinen sich der neben dem "normalen" Orchestersound mitunter auf eher ungewöhnliche Weise erfolgenden Klangerzeugung mit Gusto hinzugeben - was man schließlich nicht an jedem Abend behaupten kann. HK