"PARSIFAL" - 23. Januar 2011

"Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding"; das Zitat stammt zwar nicht aus dem "Parsifal", aber es paßt wunderbar auf die Inszenierung von Robert WILSON, dessen erste Operninszenierung 1991 mit höchst gemischten Reaktionen aufgenommen worden war. Heute gilt die Produktion fast schon als Klassiker, der sich in seiner extrem reduzierten Statuarik (selbst der Speer wird nur durch Handbewegungen angedeutet, ohne existent zu sein) und der ganz aus den Farben und einer mehr vom Bild als von der Personenführung her entwickelten Szene nahtlos an Wieland Wagner anschließt. Wilsons Bewegungskanon war damals ungewohnt und neu - und erstaunlicherweise wirkt er auch nach zwanzig Jahren noch, während sehr viel neuere Arbeiten des Amerikaners inzwischen reichlich verstaubt und nurmehr als Wiederholung des Gewesenen erscheinen.

Und musikalisch lief diesmal (wenn man einmal von den arg asketisch klingenden Knappen und Rittern absieht) wirklich alles zusammen, weil Simone YOUNG das mit einem schön warmen Mischklang und fast impressionistischer Farbgebung aufwartende ORCHESTER immer wieder stark zurücknahm und damit einer Solistenschar, die nicht aus Stimmriesen bestand, Gelegenheit gab, ihrerseits noch zurückzunehmen, und Wagner nicht als vokalen Kraftakt, sondern ganz auf Linie, mit enormer Wortdeutlichkeit und differenziert phrasiert zu präsentieren. Das war auf den ersten Blick zwar nicht immer vordergründig effektvoll, sorgte innerhalb der häufig sehr ruhig wirkenden Tempi aber für den ganz großen Bogen und zusätzliche Ruhe; das Bühnenweihfestspiel in aller Ernsthaftigkeit und ohne falsches Pathos.

Peter ROSE glänzte in dieser Konstellation als lyrischer Gurnemanz mit phänomenaler Diktion und dem Wissen um den Textsinn, gepaart mit der Fähigkeit eines in allen Lagen ausgeglichenen Legatos. Sicher, man kann das voluminöser singen, ganz bestimmt auch mit einem interessanteren Timbre - musikalischer kann man es kaum singen. Mit Klaus-Florian VOGT hatte er den idealen Partner für den Karfreitagszauber; auch der kein "Haudrauf" sondern ein kluger Sänger, der seine Mittel so einzusetzen weiß, daß die Akzente kraftvoll klingen, weil er die Dynamik schön variiert und die sehr obertonreiche Stimme technisch perfekt und ohne Druck einsetzt, so daß die Linie nie abreißt. Mit der Höhe hat er ja eh keine Probleme, in der Tiefe gibt es allerdings trotz insgesamt gewachsenen Volumens immer noch ein paar Defizite.

Als dramatische Gestalter wurden beide freilich von Angela DENOKE überboten, die Wilsons Gestik mit einer ungeheuren Körperspannung darbot, mit der sie die Blicke auf sich zog, selbst wenn sie nicht sang. Und die Farben, die sie ihrem hellen, schlanken, eigentlich nicht zwingend für die Kundry prädestinierten Sopran abtrotzt, lassen sie als Verführerin zur wirklichen Gefahr werden, weil sie mit traumhaften Pianissimi zu schmeicheln weiß, um dann von einem Takt auf den anderen fordernd oder wild aufbegehrend klingen zu können. Es ist schon erstaunlich, welche Wirkung selbst ein relatives Fortissimo haben kann, wenn es nur wenige Male und ganz gezielt eingesetzt wird.

Auch mit dem relativen Fortissimo hatte der inzwischen siebzigjährige Wolfgang SCHÖNE, der für Wolfgang Koch als Amfortas eingesprungen war, inzwischen naturgemäß Probleme, obendrein hat die Stimme das schön warme Timbre fast vollständig verloren. Doch die Technik sitzt, selbst das relativ weit hinten auf der Bühne positionierte "Wehvolle Erbe" kommt ohne größere Anstrengung über die Rampe. Hier hat einer eigentlich nie über sein Fach gesungen - und das zahlt sich aus, wenn die Kräfte zum Haushalten zwingen.

Antonio YANG sang einen in der Gesamtanlage des Abends passend schönstimmigen Klingsor, bei dem mir dann doch die nötige Gefährlichkeit fehlte, und Wilhelm SCHWINGHAMMER komplettierte als leider allzu weit hinten postierter Titurel, von dem man ob des Hörbaren gern mehr vernommen hätte.

Einen ganz großen Abend hatte der von Florian CSIZMADIA einstudierte CHOR, so klangschön wie im 1. Akt habe ich gerade die Herren schon lange nicht mehr singen hören - und die Balance zwischen den ersten Logen des 1. Ranges und dem hinter bzw. seitlich der Bühne postierten Rest (kein Chorist ist im 1. Akt AUF der Bühne) war schlicht perfekt und von wundervoll Abstufung in der Lautstärke. HK