"LE NOZZE DI FIGARO" - 29. Januar 2011

Ob es eine Tradition werden soll, daß die Hamburgische Staatsoper jeden Januar eine fast perfekt auf die Bühne gebrachte, hauptsächlich aus dem jüngeren Ensemble besetzte Mozart-Oper spielt? Ich kann nur dafür votieren. Nachdem es im vergangenen Jahr bereits eine entsprechende "Don Giovanni"-Serie gegeben hatte, folgte nun "Nozze". Die Inszenierung von Johannes SCHAAF, inzwischen auch schon zwanzig Jahre alt, ist frisch geblieben. Vielleicht klemmt das eine oder andere an den Bühnenbildern von Ezio TOFFOLUTTI (ich kann hier nur die Türen erwähnen..), aber die Spontaneität, die diese Produktion schon immer auszeichnete, ist geblieben ebenso wie die Personenregie, die den Sängern zu genauen Charakterisierungen ausreichend Möglichkeit gibt, sich zu entfalten. Es wäre höchst schade, wenn diese Perle irgendwann im Depot verschwinden würde.

Im Gegensatz zum "Giovanni" im vergangenen Jahr war auch dieses Mal die Leistung der PHILHARMONIKER fehlerlos. Alexander JOEL am Pult gelang es zwar nicht, große Einsichten und neue Nuancen zu finden, aber er hielt den Abend zusammen, sorgte für einen reibungslosen Ablauf und war durchweg sängerfreundlich. Das ist schon weit mehr, als man über so manchen anderen Dirigenten sagen kann. Vielleicht der einzige Mangel des Abends lag im CHOR (Leitung: Christian GÜNTHER) und den beiden Bauernmädchen im dritten Akt, wo das Ganze irgendwie auseinanderfallend und müde klang, was merkwürdigerweise im ersten Akt nicht festzustellen war.

Figaro ist bei Wilhelm SCHWINGHAMMER in den besten Händen. Er ist überaus beweglich, weiß, wie man Pointen setzt, und kann die Rolle mit seinem sehr flexiblen Baß mühelos durchmessen. Das allerletzte Quentchen an Raffinesse, was ich bei seinem Leporello im letzten Jahr noch vermißte, ist inzwischen auch da, so daß keinerlei Wünsche offen bleiben. Ha Young LEE ist in der Vergangenheit bei mir auf wenig Begeisterung gestoßen, doch als Susanna ist sie tatsächlich ein echter Gewinn. Entgegen der sonst so häufig kritisierten mangelnden Persönlichkeit auf der Bühne ist sie hier voll da, spielt eine selbstbewußte junge Frau mit viel Humor, die auch handfest zulangen kann. Dazu kommt eine absolut makellose gesangliche Leistung mit durchdachten Phrasierungen.

Die Contessa war mit Meagan MILLER, einem der Gäste, besetzt. Sie brauchte etwas Anlaufzeit ("Porgi amor" klang nicht wirklich ideal), war dann jedoch dem Rest der Besetzung absolut ebenbürtig. Sie fügte sich ohne weiteres in das spielfreudige Ensemble, ihre Stimme harmonierte wunderbar mit Susannas. Man fragte sich schon, warum der Conte sein Vergnügen bei einer so attraktiven Frau woanders sucht. Der ungetreue Gatte hat mit Lauri VASAR eine Idealbesetzung gefunden. Ein noch junger, viriler Schürzenjäger mit angenehm timbrierten Bariton von weichem Klang, der jedoch auch heftig attackieren kann. Zudem ist der Sänger ein echtes Bühnentier, selbst wenn er nur etwas beobachtet, spürt man jederzeit Spannung und Präsenz. Daß Schwinghammer und er ein wahres Dreamteam sind, hatte ja schon der "Giovanni" im letzten Jahr bewiesen.

Cristina DAMIAN als Cherubino ist als vollpubertierender Junge sehr glaubwürdig. Gerade in den Szenen mit der Gräfin vergißt man vollkommen, daß es sich um eine Hosenrolle handelt, weil es absolut glaubwürdig ist, wie sich hier sich ein Junge an eine ältere Frau heranmacht. Die Stimme hat zudem in dieser Rolle diesen androgynen, aber dennoch fiebrigen Klang, wie man ihn sich vorstellt. Jürgen SACHER hat als Basilio sein komödiantisches Timing wiedergefunden, welches ihm in der "Fledermaus" im Dezember abhanden gekommen zu sein schien. Da saß jede Geste, jede Bewegung, und ausnahmsweise war die Arie von der Eselhaut keine Zeitverschwendung, sondern machte tatsächlich einmal Sinn.

Mit Katja PIEWECK steht eine Marcellina auf der Bühne, die so köstlich eine alternde Matrone mit Frühlingsgefühlen spielt, daß es der jugendlichen großformatigen Stimme bedarf, um nicht zu vergessen, daß die Sängerin deutlich jünger als ihre Rolle ist. Wer in dieser Ehe die Hosen anhaben wird, dürfte ohne Zweifel feststehen, obwohl Bartolo mit Steven HUMES sehr präsent ist und Qualitäten als Szenendieb besitzt. Die Stimme ist sicherlich keine ganz große, aber der Sänger weiß damit effektvoll umzugehen.

Barbarina war die noch extrem junge Mélissa PETIT aus dem Opernstudio, die mit nicht großer, aber gut tragender Stimme sang, und sehr glaubhaft einen bockigen verliebten Teenager darstellte. Der Antonio von Dieter SCHWEIKART setzte keine großen Glanzpunkte, fiel jedoch auch nicht negativ auf, wie dies leider häufiger in dieser Rolle der Fall ist. Schließlich scheint sich Frieder STRICKER inzwischen auf etwas trottelige Juristen spezialisiert zu haben. Sein Don Curzio ist sicherlich kein Highlight der Gesangskunst, aber ich kenne niemanden, der sonst diese Art Rolle so treffsicher verkörpern kann.

Dieser Abend sollte allen eine Lehre sein, die abfällig meinen, es singe ja "nur" eine Hausbesetzung. Für mich wird eine solche Besetzung immer mehr zum Argument, unbedingt die Vorstellung zu besuchen. MK