"DON CARLOS" - 8. Januar 2012

Es brauchte zahlreiche Versuche, Inszenierungen und Besetzungen, bis ich "Don Carlos" zu den Opern zählte, die ich wirklich sehr mag. Seit diesem Sonntag weiß ich, daß sich dieses Gefühl von "sehr mögen" wohl eher auf die italienische Fassung dieser Verdi-Oper bezieht. Doch der Reihe nach.

Gespielt wird die fünfaktige ungekürzte französische Fassung, was dank der Sänger und der musikalischen Leitung trotzdem nicht langatmig wirkte. Sprachlich war es dann aber doch nicht meins. Die italienischen Worte klangen so häufig im Ohr, daß ein Konzentrieren auf den französischen Text zum Teil schwer fiel. Musikalisch war es, wenn auch mit Abstrichen, ein sehr schöner Abend.

Alexander JOEL trug hierzu wesentlich bei. Die PHILHARMONIKER HAMBURG klangen unter seiner Leitung sehr ausgewogen, und ausgesprochen dynamisch. Selbst die Blechbläser patzten nicht ein einziges Mal. Zudem ließen sich weder Dirigent, noch Orchester vom Gewusel im Zuschauerraum zum Autodafé aus der Ruhe bringen.

Bei den Sängern lagen Licht und Schatten dicht beieinander.

Jean-Pierre FURLAN bot im Rahmen seiner stimmlichen Fähigkeiten und der ihm von der Regie auferlegten Spielereien alles ihm mögliche. Wer allerdings auf einen Carlos hoffte, dessen jugendliche Schwärmereien und Ideen sich auch irgendwie in der musikalischen Interpretation niederschlugen, wurde eher enttäuscht.

Iano TAMAR übertraf dagegen die in sie gesetzten Hoffnungen noch. Nicht nur, daß sie ihre Partie exakt und doch gefühlvoll sang, sie bot zudem auch eine spannende, wohldurchdachte Interpretation. Elisabeth ertrug hier nicht still leidend, duldend jede Schmach, sondern stellte sich dem ungewollten Ehemann entgegen und versuchte aktiv, Carlos zu schützen. Es wäre schön, die Sängerin einmal in der italienischen Fassung zu hören.

Ein "neuer" Bariton macht grundsätzlich neugierig. Rodion POGOSSOV hat laut Website der Staatsoper in Hamburg bereits Rossinis Figaro gesungen, was ich - leider - verpaßt habe. Sein Posa hatte all das an Leidenschaft, Idealismus und Verve, was man beim Carlos vermißte. Hinzu kam eine ausgesprochen schöne und kultivierte Stimme, die keine Herausforderung zu fürchten hatte. Es steht zu hoffen, daß man diesen Sänger nun häufiger in Hamburg zu hören bekommt.

Bei Nadja MICHAEL schien die vorab angeschobene PR-Maschinerie zumindest an diesem Sonntagnachmittag zu wirken. Das anwesende Publikum feierte die Sängerin pflichtschuldig. Allein, es blieb die Frage nach dem Warum. Selten habe ich eine Eboli gehört, die derart unkultiviert klang, noch nie eine gesehen, die so ordinär wirkte. Zwar fügte dieses Bild irgendwie in die Inszenierung, doch fragte man sich permanent, wie diese Frau zu einer entsprechenden Position an spanischen Hof jener Zeit geschafft haben mochte (Kronleuchter?). Ein kleiner Trost war, daß um die stimmliche Disposition der Sängerin besser gestellt war, als man vorab befürchtet hatte.

Tuncay KURTOGLU war als Großinquisitor zuwenig auftrumpfend und bestimmt in der Figur. Er blieb auch stimmlich etwas blaß. Ensemblemitglied Adrian SÂMPETREAN beeindruckte dagegen bei seinen kurzen Auftritten als Mönch mit seiner ausgesprochen schönen, dunklen Stimme und einer sehr kurzweiligen Charakterisierung Karl V.

Was es auch immer in Hamburg ist, das Bässe so gut gedeihen läßt, beim ihm wirkt es ebenso gut wie bei Tigran MARTIROSSIAN, der als Phillip die ganze Tragik der Figur, zerrissen von den Pflichten als Herrscher, den Sorgen um die Nachfolge und dem Leben als ungeliebter Ehemann, greifbar machte. Gerade zu Beginn entsprach seine Deutung des Charakters so sehr dem Bild, das man sich im allgemeinen von Phillip II. macht, daß man direkt Angst bekam. Seine Stimme besitzt die nötige Eleganz und Flexibilität für diese Partie und bot insbesondere in der Arie viel an musikalischer Vielschichtigkeit und Charakter.

Überhaupt gab es so einige Momente reiner Stimmfreude. Mélissa PETIT als Thibault fiel ob ihrer glockenhellen Stimme und der akkurat gesungenen Koloraturen im Schleierlied und auch sonst ausgesprochen positiv auf. Dovlet NURGELDIJEV (Lerma/Herold) hatte einige beachtenswerte Kurzauftritte und durfte schließlich mit süffisant klingender Stimme wie passend blasierter Attitüde von Eboli das Kreuz einfordern. Besonders schön war der Moment, als er bei seinem Auftritt als Herold beim Autodafé mit einigen wohlgesetzten, gar nicht mal so lauten Tönen das Gemurmel im Zuschauerraum umgehend zum Verstummen brachte.

Die Flandrischen Deputierten (Thomas BRIESEMEISTER, Eun-Seok JANG, Andreas KUPPERTZ, Gabor NAGY, Bernhard WEINDORF, Yue ZHU) litten bei ihrem Auftritt wohl am meisten unter der Unruhe der Autodafé-Szene und klangen streckenweise etwas uneins. Katharina BERGRATH war leider auch stimmlich mehr Monroe-Verschnitt, denn Stimme vom Himmel.

Der CHOR DER STAATSOPER (insbesondere die Damen) hatten einen rabenschwarzen Nachmittag mit vielen Irritationen und Unstimmigkeit, was sehr schade war, zumal man weiß, daß das eigentlich viel besser klingen kann.

Ein wirkliches Ärgernis ist die als Kult gepriesene Inszenierung von Peter KONWITSCHNY, die in ihrer Plattheit und den manchmal schon übermäßig belehrenden Hinweisen zu Handlung und Historie nur schwer zu ertragen ist.

Musikalisch traumhaft klang das Ballett. Was man auf der Bühne in diesem Moment allerdings geboten bekam, war einfach nur zum Augenschließen. Das Ballett der Hansestadt hat einen so guten Ruf. Hätte man hier nicht besser auf eine entsprechende Choreographie zurückgreifen sollen?

Besonders unsinnig ist die Idee, das Autodafé als Event mit Auftritt des königlichen Gefolges sowie Vorführung der Gefangenen aus dem Parkett im vollbeleuchteten Zuschauerraum zu beginnen. Trotz der verteilten Handzettel und den entsprechenden, der Sensationspresse gleich anmutenden Ankündigungen in der vorhergehenden Pause bleibt das Geschehen einem Großteil des Publikums unverständlich. Hinzu kommt, daß das Geschehen im Parkett den Zuschauern mit Plätzen in den Logen auf der rechten Seite ohnehin vollkommen verborgen bleibt. Da hat jemand wirklich mitgedacht…

Als Fazit bleibt zu sagen, daß obwohl mir die italienische Version von "Don Carlos" einfach mehr am Herzen liegt, und die Inszenierung zeitweise nur schwer zu ertragen ist, die Künstler auf der Bühne und im Graben einen zweiten Besuch wirklich wert machen. AHS